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Archiv-Artikel

Die gefallene Richterin

PRIVILEGIEN Eine Verfassungsrichterin soll sich in der Notaufnahme vorgedrängelt haben

Den Gang zu einem befreundeten Chefarzt ermöglichte der Richterin nicht ihr Amt – sondern die Tatsache, dass sie Privatpatientin ist

FREIBURG taz | Ignorieren Verfassungsrichter im privaten Leben die Werte, die sie im Amt schützen sollen? Das legt zumindest ein Text nahe, der jüngst im Deutschen Ärzteblatt erschien. Dort beschrieb Harald Proske, Leiter der Notaufnahme im Städtischen Klinikum Karlsruhe, einen Vorfall, der ihm „Angst und Bange“ mache um dieses Land.

Eine Verfassungsrichterin mit einem lädierten Finger habe in der Notaufnahme nicht warten wollen, bis sie an der Reihe war, sondern zunächst ihre Sekretärin vorgeschickt, um eine Vorzugsbehandlung zu fordern. Später habe sie dann selbst eine „bessere, schnellere Behandlung verlangt“. Als dies nichts genutzt habe, sei die Richterin zu einem ihr bekannten Arzt gegangen, „und der machte es möglich“. Proske wirft der Richterin ein Selbstverständnis vor, „welches auf Privilegien und Bevorzugung pocht, sich bewusst vom Rest separieren will“. Sie habe ihren Wert „qua Stellung und Rang als weitaus größer im Vergleich zu dem der anderen Hilfesuchenden empfunden“.

Heftige Vorwürfe also an die Frau, die nicht namentlich genannt wird. Aber es gibt nur fünf Verfassungsrichterinnen, und nur eine hatte sich in diesem Winter – nach einem Sturz auf glattem Boden vor dem Gericht – einen Finger gebrochen.

Die fragliche Richterin ist zwar derzeit im Urlaub, ließ aber mitteilen, dass die Schilderung im Ärzteblatt nicht der Wahrheit entspreche. Sie habe „in keiner Weise auf eine bevorzugte Behandlung in der Notaufnahme gedrängt“. Harald Proske, dem Autor, sei sie an diesem Tag auch überhaupt nicht begegnet. Sie habe auch nicht etwa ihre Sekretärin vorgeschickt, wie von Proske behauptet, sondern sei von einer zweiten Verfassungsrichterin begleitet worden. Allerdings habe sie dann tatsächlich den „ihr bekannten Chefarzt der Radiologie kontaktiert“, weil am Nachmittag die Beratungen im Gericht fortgesetzt werden sollten.

Autor entschuldigt sich

Harald Proske hat sich inzwischen beim Gericht und der Richterin für den Text entschuldigt. Wie eine Karlsruher Tageszeitung meldet, war er nur knapp seiner Kündigung entgangen. Zumindest die ärztliche Schweigepflicht dürfte er in seinem Artikel verletzt haben. Allerdings: Da kein Motiv für eine falsche Beschuldigung ersichtlich ist, dürfte der Kern des Geschehens aber wohl nicht erfunden sein.

Proske selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, er weilt im Urlaub. Seine Station an der Karlsruher Klinik will den Fall derzeit nicht weiter kommentieren.

Fraglich bleibt die Stoßrichtung von Proskes Text, der die Frage nach Missständen in der medizinischen Versorgung ausklammert.

Denn der Gang zu einem befreundeten Chefarzt war der Richterin vor allem deshalb möglich, weil sie Privatpatientin ist – und nicht etwa, weil sie ein wichtiges Amt innehat. Es geht also wohl nicht um eventuelle Charaktermängel einer gefallenen Verfassungsrichterin, wie das Deutsche Ärzteblatt nahelegt, sondern um ein Krankenversicherungssystem, das die Gleichheit vor dem Arzt verhindert. CHRISTIAN RATH