: Auf Pathos und Expressivität kann man verzichten
LIVE ART Kurze Stücke von Trisha Brown und eine Konzert-Performance von Angela Bulloch und David Grubbs bei „Tanz im August“
Die frühen Arbeiten von Trisha Brown und die Konzert-Performance „The Wired Salutation“ von Angela Bulloch and David Grubbs, die beide am Wochenende bei „Tanz im August“ zu sehen waren, sind an den entgegengesetzten Enden dessen angesiedelt, was man Live Art nennt. Im Rahmen des Festivals, das in diesem Jahr sein 25. Jubiläum feiert, wird dieser Begriff gar nicht gebraucht, obwohl er bestens passen würde. Von Live Art wird seit den frühen Achtzigern in Großbritannien gesprochen, um die engen Grenzen der performativen Künste zu sprengen und Strategien von Bildender Kunst, Tanz, Interventionen, Happenings, Installationen und Musik unter einen Hut zu bringen.
Schon die Orte repräsentierten diese Vielfalt: Trisha Browns Arbeiten waren im Museum, dem Hamburger Bahnhof, zu sehen. Das Konzert fand im Theater, dem HAU1, statt. Beide Performances überschreiten locker die Grenzen, die man ihren Genres traditionellerweise setzt. Beide brechen spielerisch die Konventionen des „Live“-Auftritts und das mit ihm verbundene Spannungsverhältnis zwischen Performer und Publikum.
Als Grundmodul nutzt Trisha Brown „reine Bewegung“, wie sie es nennt – eine Bewegung, die weder funktional noch pantomimisch ist. Wie die minimalen Skulpturen, die zur selben Zeit entstanden, haben die zehn Stücke, die zwischen 1970 und 1976 geschaffen wurden, simple Strukturen, die so analytisch wie gewitzt sind und auf Pathos und Expressivität verzichten. Die Trisha Brown Company bittet das Publikum an diesem vielleicht letzten heißen Abend des Jahres im stickigen Aktionsraum des Hamburger Bahnhofs, Platz zu machen für die Stücke. Es ist nie klar, ob und wie man etwas sehen können wird.
Die Tänzer sind in eine weiße Uniform gekleidet und balancieren durch die Architektur des großen Raums, die als Raster für ihre mechanischen Bewegungen dient. In „Accumulation“ von 1971 etwa beginnen sie mit einer einfachen Geste der Hand und addieren immer eine neue dazu, während die vorhergegangenen dabei wiederholt werden. In „Spanish Dance“ (1973) erhebt ein Tänzer langsam seine Hand und bewegt sich zu Bob Dylans „In The Early Morning Rain“ voran, um dann den Rücken einer Tänzerin zu berühren, die ihren Arm erhebt, worauf beide gemeinsam voranschreiten, auf den dritten Tänzer zu, und so weiter, bis sie alle gemeinsam die Wand erreichen. In anderen Stücken nutzen die Tänzerinnen lange Stöcke aus Holz als Extensionen ihrer Körper und der Architektur, zu der sie sich in Beziehung setzen, um geometrische Formationen zu bilden. Es sind Prozesse der Abstraktion, in denen systematisch flüchtige Bewegungen analysiert werden.
40 Jahre nachdem Brown ihre kurzen Stücke choreografierte, taten sich die Künstlerin Angela Bulloch und der Musiker David Grubbs nicht zum ersten Mal zusammen, um „The Wired Salutation“ zu erarbeiten. Darin werden 3-D-Animationen zu experimentellem Rock gezeigt. Bevor die Musiker zu sehen sind, performen ihre Avatare zur Musik in mechanischen, digital prozessierten Bewegungen. Es ist in diesem Moment schwer zu erkennen, ob die Musik gerade live gespielt wird oder Loops reproduziert werden. Die sich nicht ganz synchron zur Musik bewegenden Avatare, die auf eine Oberfläche von flachen Würfeln projiziert werden, sind eindeutig Referenzen auf die menschlichen Musiker.
Irgendwann hebt sich der Vorhang/Schirm, und man bekommt tatsächlich David Grubbs, Andrea Belfi, Stefano Pilia und Angela Bulloch zu sehen, die diesen langsamen, harmonischen und präzisen Gitarrenrock spielen. Jetzt performen ihre Avatare im Hintergrund. Der leicht ironische Rock der Band wird so gewissermaßen selbst auf einen Schirm projiziert, auf dem nun die Beziehungen zwischen visueller und akustischer Wahrnehmung seziert werden können. Sehen wir wirklich, was wir hören? Merkwürdigerweise scheint die Musik jetzt, als ihre Urheber zu sehen sind, viel realer zu klingen als zuvor.
TAL STERNGAST