: Mit Wucht an Zäunen rütteln
Das Hamburger Theater N. N. wurde schon oft totgesagt. Doch Direktor Dieter Seidel hat immer wieder Räume und Gelder gefunden. Jüngstes Beispiel: ein privater Sponsor für die kommenden drei Monatsmieten
Manchmal weiß man nicht, ob er es ernst meint oder nicht. Ob er wirklich ein bisschen realitätsfern ist oder eher spielt mit dem Image des ewig Ahnungslosen. Und ob es ihm vielleicht sogar gefällt, Grenzen dieses unseres Systems zu überschreiten, die er natürlich nicht erst seit gestern kennt.
Obwohl in der DDR aufgewachsen, ist Dieter Seidel, Leiter des Hamburger Privattheaters N. N., schon vor der Wende in den Westen gekommen und hat sich – einst Babelsberger Regie-Absolvent – alsbald gemeinsam mit tourenden Schauspielern selbständig gemacht. Ruinen, Klöstern, auch die Trierer Kaisertherme hat sein Ensemble schon bespielt, hat Räume belebt und ausgeleuchtet, die niemand je zuvor er-probte. Im vorigen Sommer hat er gar ein verwunschenes Hamburger Amphitheater mit dem ehrwürdigen Molière beglückt.
Freiheit also, wohin man blickt – und doch scheinen Seidel solche Grenzüberschreitungen nicht zu genügen: Nein, auch im jeweiligen Behördendschungel mag er herumwursteln, wie um zu testen, ob sich die Welt nicht immer wieder neu erfinden ließe: Eine Basisförderung für sein im geplanten Hamburger „Kulturbahnhof“ ansässiges Theater N. N. hatte er etwa ab 1999 Jahr für Jahr eingefordert – wohl wissend, dass ein solcher Topf überhaupt nicht existiert. Projektgelder hätte er stattdessen haben können; gelegentlich bekam er sie. Von seiner Forderung abgebracht hat ihn das nicht: „Wir alle arbeiten ehrenamtlich und brauchen Planungssicherheit“, sagt er noch heute, inzwischen abermals verzogen in ein liebevoll renoviertes Theater mit 50 Plätzen und einer winzigen Bühne. „Viel zu wenig Plätze, um rentabel zu arbeiten“, tönt die Hamburger Kulturbehörde. „Ein allerliebstes Theater, das wir so hinreißend bespielen, dass ich immer dachte, die Senatorin würde irgendwann einsehen, dass wir konstantes Geld brauchen“, beteuert Seidel.
Eine recht romantische Vorstellung sei das wohl gewesen, sagt er heute. Was nicht heißt, dass ihm derlei nicht wieder unterlaufen könnte. Denn ein bisschen Renitenz muss sein – auch wenn sich Idealismus und Pragmatismus irgendwann auch mal beißen: „Wir können die Miete nicht mehr stemmen“, beschloss das Ensemble kürzlich, zum 1. April kündigte man die Räume. „Dann werden wir eben wieder Tourneetheater“, sinnierte noch vor wenigen Wochen ein gar nicht so trauriger Seidel.
Doch was geschah? Ein Sponsor meldete sich auf die Schließungs-Berichte hin, der inzwischen immerhin die nächsten drei Monatsmieten gezahlt hat. Vom „wunderbaren Motivationsschub“, schwärmt der Theaterleiter jetzt – und hat sofort eine Sponsoring-Abteilung gegründet. Erstes Mitglied: besagter edler Spender. „Wir werden doch nicht nach drei Monaten schon wieder aufgeben,“ freut sich Seidel, der schon Weill, Shakespeare, Sobol und Cocteau inszenierte. Und wenn das Sponsoring ausläuft? Dann wird man weitersehen. Vielleicht hat bis dahin irgendwer den Haushaltstitel „Basisförderung für das Theater N.N.“ eingerichtet.
PETRA SCHELLEN