: Von Schloss Bellevue zur Abschiebung
Die ausgezeichnete 17-jährige Kurdin Hayriye Aydin ist heute wegen ihres zivilen Engagements beim Bundespräsidenten zu Gast. Berlins Innensenator beeindruckt das nicht. Er will zunächst die Eltern, später auch Hayriye in die Türkei abschieben lassen
AUS BERLIN TORSTEN GELLNER
Die Würdigung kommt von höchster Stelle. Heute Abend wird Bundespräsident Horst Köhler die 17-jährige Schülerin Hayriye Aydin aus Berlin im frisch renovierten Schloss Bellevue begrüßen und sich bei der Kurdin für ihr ehrenamtliches Engagement bedanken. Morgen wird sich Hayriye dann wieder als Klassensprecherin für die Interessen ihrer Mitschüler einsetzen. Und sie wird nicht nur auf dem Schulhof deutsch reden, sondern auch zu Hause mit den Eltern und Geschwistern. Ein Bild wie aus einen Handbuch für gelungene Integration.
Doch die präsidiale Ehrung der jungen Muslimin ist eher der vorläufige Höhepunkt eines absurden Theaterstücks. Regie dabei führt Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Körting, sonst eher als liberaler Innenpolitiker bekannt, will Hayriye samt ihrer vielköpfigen Familie in die Türkei abschieben. Sein Vorwurf: Der Vater Feyaz Aydin habe bei seinem Asylantrag vor mehr als zehn Jahren falsche Angaben gemacht. Die Abschiebung der Familie sei daher im öffentlichen Interesse.
„Herr Körting will nur seine Härte unter Beweis stellen“, sagt Svenja Pelzel. „Wir haben gezeigt, dass es im öffentlichen Interesse liegt, die Familie nicht abzuschieben.“ Pelzel, deren Sohn mit einer Schwester Hayriyes in eine Klasse geht, hat zusammen mit Eltern, Lehrern und Schülern über 1.500 Unterschriften gesammelt und sie im Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses eingereicht. Gestern sollte sich der Petitionsausschuss mit dem Fall befassen. Eine Entscheidung wird es aber erst in einigen Wochen geben. Für den Innensenator hätte dies empfehlenden Charakter. Die Abgeordneten wollen bis dahin prüfen, ob der Familienvater in der Türkei politisch verfolgt wurde und daher falsche Angaben bei seinem Asylantrag machte.
Für die Elternvertreterin Svenja Pelzel spielt diese Frage gar keine so große Rolle. Sie kann nicht verstehen, dass eine Familie, die seit 17 Jahren in Deutschland lebt und „mustergültig integriert“ sei, plötzlich abgeschoben werden soll. Um die Absurdität des Falls zu dokumentieren, verweist sie auf Hayriyes Engagement in einer Initiative gegen Antisemitismus, dem Grund für die Einladung ins Schloss Bellevue. „Was muss man denn noch alles tun, um als integriert zu gelten?“, fragt sie ratlos.
Diese Frage kann auch der Jesuitenpater Klaus Mertes nicht beantworten. Mertes sitzt in der Berliner Härtefallkommission und hat sich für die Familie Hayriye Aydins stark gemacht. Im Januar hatte sie sich dafür ausgesprochen, dass die Familie in Deutschland bleiben darf. Doch die Kommission kann nicht mehr tun, als Senator Körting um ein Bleiberecht zu ersuchen. Auch Pater Mertes hält die Aydins für „vorbildlich integriert“, was er vor allem auf die Eltern zurückführt. „Eine derart gelungene Integration von Kindern ist ohne das Engagement der Eltern überhaupt nicht möglich.“
Nun soll Familie Aydin, der Traum eines jeden Integrationsbeauftragten, nicht nur abgeschoben, sondern auseinander gerissen werden. Innensenator Ehrhart Körting will die Eltern und die jüngsten Geschwister in jenes kurdische Bergdorf schicken, aus dem die Eltern 1989 geflohen waren. Hayriye und zwei ihrer Schwestern hat der Senator dagegen erlaubt, ihre Ausbildung in Deutschland zu beenden. Danach müssen auch sie in eine Heimat, die freilich keine ist. Hayriye war sechs Monate, als sie nach Deutschland kam. Pater Mertes hält eine Ausweisung für unverantwortlich. „Nachdem sich die Kinder hier in einer westlichen Großstadt völlig integriert haben, sollen sie in eine dörfliche Gemeinschaft ziehen, ohne die Sprache zu sprechen. Das ist Desintegration.“
Die Aydins hoffen, dass die Würdigung ihrer Tochter durch den Bundespräsidenten eine Wendung in ihrem Fall bedeuten könnte. Aus dem Bundespräsidialamt heißt es, Horst Köhler habe um ein Gespräch mit Körting in der Sache gebeten.
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