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Archiv-Artikel

„Das ist doch geil, das hält jung“

DIENSTJUBILÄUM Ein Vierteljahrhundert auf derselben Trainerbank? Das hat sogar im Amateurfußball Seltenheitswert. Ingo Kahlisch hat den heutigen Regionalligisten FSV Optik Rathenow schon vor der Wende trainiert. Und langweilt sich noch immer kein bisschen

Ingo Kahlisch

■ 57, trainierte ab 1989 Motor Rathenow in der Bezirksliga Potsdam. 1991 ging Optik Rathenow aus Motor Rathenow hervor. 2012 gelang der Sprung aus der Oberliga in die Vierte Liga (Regionalliga), derzeit ist man Tabellensechster. Hauptberuflich betreibt Kahlisch eine Sportmarketingfirma.

INTERVIEW GUNNAR LEUE

taz: Herr Kahlisch, Sie gehen gerade in ihre 25. Trainersaison bei ein und demselben Verein. Was ist daran noch spannend?

Ingo Kahlisch: Fußball ist doch immer spannend, jeden Tag neu! Das ist doch geil, das hält jung. Ich könnte mir das Leben gar nicht ohne Fußball vorstellen.

Hatten Sie nie Lust, mal den Verein zu wechseln?

Warum denn? Wenn ich zufrieden bin und wenn man einen Verein aufgebaut hat, ist doch alles okay. Ich habe mich in meinem Leben nie irgendwo beworben. Drei- oder viermal hätte ich wechseln können. Aber dann hätte ich meinen Verein von einem Tag auf den anderen verlassen müssen.

Als Sie den Job beim Vorgängerverein Motor Rathenow anfingen, befand sich die DDR bereits im Endstadium. Wie haben Sie das damals erlebt?

Jeder, der nicht ganz blind war, wusste, dass das nicht mehr lange so weiter gehen konnte. Nur unsere Altkommunisten in der Regierung nicht. Allein deshalb, weil viele tagtäglich über Ungarn abgehauen sind, konnte man sich denken, was passiert.

Sind Spieler Ihres Vereins über Ungarn geflohen?

Zwei, drei sind abgehauen, alle anderen sind hier geblieben.

1991 benannte sich Motor Rathenow nach seinem damaligen Sponsor um, den Rathenower Optischen Werken. War der Verein finanziell an das Unternehmen gebunden?

Ja. Aber den Betrieb gab es ein Jahr nach Neugründung des Vereins nicht mehr. Die Belegschaft sank zunächst von 4.000 auf 900 – und dann auf null.

Damit konnte der Verein seine Ambitionen vergessen. Haben Sie in dem Moment den Wechsel nach Rathenow bereut?

Überhaupt nicht. Natürlich ist hier erstmal alles zusammengebrochen und ich stand mit den Jungs alleine da und ohne Geld. Wir haben trainiert und sind dann innerhalb von fünf Jahren sogar dreimal aufgestiegen – von der Verbandsliga bis in die Regionalliga. Auf einmal haben wir gegen die großen Ostklubs wie Carl Zeiss Jena gespielt. Das war schon was Besonderes.

Ihre schönste Zeit als Trainer?

Ja, aber es gab auch schwierige Phasen. Mitte der 90er, als ich dann auch die Fußballlehrer-Lizenz erworben hatte, wurde die Oberliga für unser Umfeld zu selbstverständlich. Dass wir sie erreicht hatten, war aber nach wie vor eine große Leistung, angesichts unseres Spielerpotenzials. Wir mussten dafür strampeln und rennen.

Waren Sie neidisch auf die Klubs mit den großen Talentpools?

Das hatten wir nun mal nie. Man muss einfach das Beste aus dem Vorhandenen machen.

Sie kümmern sich auch als Firmenchef um Ihre Spieler.

Ja, ich besitze eine Sportmarketingfirma. Und ich habe drei Lehrlinge, die gleichzeitig bei uns spielen.

Suchen Sie Ihre Lehrlinge immer unter Ihren Spielern?

Ja. In diesem Fall sind es drei junge Leute, die bei Hertha ausgebildet wurden. Dann saßen sie auf der Straße, weil ihnen alle erzählt hatten, sie sollen Profis werden. Keiner hat ihnen gesagt, dass sie irgendwann mal arbeiten gehen müssen und dass das auch nicht schlimm ist.

Regt es Sie auf, dass viele junge Fußballer heute über den Dingen schweben?

Bei uns schwebt keiner. Ansonsten hole ich sie schon runter.

Was verdienen denn die Spieler bei Ihnen?

Entweder sie haben einen Vertrag als 400-Euro-Jobber oder sie kriegen eine Aufwandsentschädigung. Kleines Geld.

Ist so eine Kleinstadt für Spieler mit früheren Profi-Träumen und Hertha-Erfahrung nicht ein Kulturschock?

Nein, das ist ja für die schon lange vorbei. Außerdem fahren die abends wieder nach Hause. Aber wenn ich das schon höre: Kulturschock! Wir haben ein richtig geiles Stadion! Wir kümmern uns um die Jungs, wir haben Lehrstellen, wir machen viel.

Wie viele Zuschauer kommen eigentlich zu Ihren Spielen?

Das ist auch jedes Jahr verschieden. Derzeit haben wir einen Zuschauerschnitt von 600 bis 700. Das ist ordentlich. Rathenow ist ja nicht so eine Fußballstadt.

„Kulturschock, wenn ich das schon höre! Wir haben ein richtig geiles Stadion!“

Geschäftsführer des Vereins sind Sie auch noch.

Das mache ich nebenbei, das ist doch kein Problem. Viele nehmen sich im Fußball einfach zu wichtig. Wenn ich schon sehe, was bei Hertha alles hauptamtlich ist, da kann man die Hälfte einsparen. Ein Bundesligist braucht doch keinen Trainerstab von 15 Mann.

Wie oft trainieren Sie?

In der Saisonvorbereitung achtmal die Woche, außer sonntags. In der Saison viermal.

Wenn Sie die Bundesliga beobachten …

Das mache ich gar nicht mehr so viel, weil die Schere zwischen Amateur- und Profisport immer weiter auseinanderklafft, finanziell. Der Deutsche Fußball-Bund gibt immer weniger ab nach unten, und das kotzt mich eigentlich an.

Was machen Sie als Trainer heute eigentlich genau wie vor 25 Jahren?

Ich lege viel Wert auf Teambildung, damit kann man eine ganze Menge erreichen. Wir sind ein Mannschaftssport.

Und Ihr Saisonziel?

Die Regionalliga halten und ins Landespokalendspiel kommen. Und da gewinnen.

■ Am Sonntag (25. 8.) spielt Optik Rathenow um 13.30 Uhr im heimischen Stadion Vogelsang gegen Wacker Nordhausen