: „Mann, verhüte du doch mal“
Europaweit einmalig entsteht in Deutschland ein neuer Arztberuf: Andrologen machen das für Männer, was Frauenärzte schon seit hundert Jahren tun. Der Münsteraner Androloge Eberhard Nieschlag über männliche Scham und medizinischen Aufbruch
INTERVIEW MIRIAM BUNJES
taz: Frau geht mindestens einmal im Jahr zum Frauenarzt. Mann geht erst mit Schmerzen zu einem Urologen. Haben Männer eine andere Einstellung zu ihrem Körper?
Eberhard Nieschlag: Männer schämen sich mehr für sexuelle Störungen als Frauen. Entsprechend haben sie größere Schwierigkeiten mit irgend jemanden darüber zu sprechen, auch mit einem Arzt. Manche Männer quälen sich jahrelang mit Potenzstörungen, ihre Beziehung ist schon kaputt – und erst dann fällt ihnen ein, mal damit zum Arzt zu gehen.
Zu welchem Arzt?
Bald hoffentlich zum Andrologen in ihrer Nähe. Ansonsten befassen sich Urologen, Dermatologen, Endokrinologen – das sind auf das Zusammenspiel der Hormone spezialisierte Internisten – mit den typischen Männerproblemen.
Die da wären?
Ausbleibender Nachwuchs, also Zeugungsunfähigkeit, Erektionsprobleme, Hormonmangel. Wie Frauen haben auch manche Männer mit zunehmenden Alter einen gestörten Hormonhaushalt, der zum einen sexuelle Störungen verursacht, aber auch psychische Probleme macht. Das sind so die typischen Bereiche der Andrologie, der Männerheilkunde. Die Sexualität des Mannes wird interdisziplinär betrachtet: Ein Androloge kennt sich mit Haut aus, mit der Prostata, mit Hormonen, mit Empfängnisverhütung – aber auch mit Alterungserscheinungen wie Osteoperose. Die Andrologie ist also eigentlich genauso aufgebaut wie die Gynäkologie, die ja auch die ganze weiblichen Sexualität umfasst.
Trotzdem klingt Frauenarzt normal und Männerarzt neu.
Das ist ja auch so. Geburtshilfe, aus der sich dann die Gynäkologie entwickelt hat, gibt es seit Urzeiten. In Deutschland wurde 1875 die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie gegründet. Die Deutsche Gesellschaft für Andrologie gibt es seit 1975. Als Fachrichtung und Berufsbezeichnung anerkannt wird die Männerheilkunde auch erst seit Mitte letzten Jahres. Und damit ist Deutschland noch fortschrittlich: Andrologen gibt es in keinem anderen europäischen Land und auch in den Vereinigten Staaten gibt es erst jetzt erste Diskussionen über den Beruf.
Woran liegt diese späte Erkenntnis?
Kinder kriegen war ja lange Zeit ausschließlich Frauensache. Wenn das nicht klappte, war frau Schuld. Deshalb konnte sich männliche Sexualmedizin erst in aufgeklärteren Zeiten entwickeln.
Wann ist es normal, zum Männerarzt zu gehen?
Das braucht noch ein paar Jahre. Es gibt heute schon schätzungsweise 50 Andrologen in Deutschland, also Dermatologen, Endrikonologen oder Urologen, die sich auch mit den jeweils anderen Disziplinen auskennen und Männerheilkunde betreiben. Vor zwei Wochen haben die ersten 150 Mediziner einen Vorbereitungskurs für ihre Andrologen-Prüfung absolviert. Wenn es immer mehr andrologische Praxen gibt, wird es auch immer mehr Patienten geben, die hingehen. Allein, weil andere Ärzte sie überweisen. Irgendwann ist es dann Alltag.
Mit regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen wie bei den Frauen.
Ab ungefähr 45 ist es sinnvoll für einen Mann, sich einmal im Jahr von einem Andrologen untersuchen zu lassen. Im Alter leiden Männer eben häufiger unter Hormonmangel oder Erektionsstörungen. Außerdem steigt das Risiko von Prostata- oder Hodenkrebs. Wenn Männerheilkunde alltäglich geworden ist, wird es hoffentlich auch für jüngere Männer normal, ihre Hoden auf Verhärtungen abzutasten – es wird ja auch jeder Frau gezeigt, ihre Brüste aufmerksam zu beobachten. Auch in der Pubertät sollte es normal werden, sich von einem Andrologen untersuchen zu lassen. In dieser Zeit entwickelt sich viel – es kann sich also auch viel falsch entwickeln. Andrologie in Forschung und Praxis ist aber heutzutage besonders für ältere Menschen wichtig.
Wieso?
Sexualität macht Menschen glücklich, Männer und Frauen. Wenn sie nicht funktioniert oder nicht mehr funktioniert, geht ein ganz entscheidendes Stück Lebensqualität verloren. Das zu verhindern, ist zentrales Ziel der Andrologie. Der Run auf Medikamente wie Viagra hat gezeigt, wie viele Männer von Erektionsstörungen betroffen sind – und dass sie sich auch helfen lassen wollen.
Und wann gibt es die Pille für den Mann?
Die ist ebenfalls ein zentrales Forschungsprojekt der Andrologie und hier bei uns in Münster in Arbeit. Es wird aber noch ein paar Jahre dauern, bis sie zugelassen sein wird. Ihre Entwicklung ging auch eher schleppend voran, weil die Pharmaindustrie eine Zeit lang fürchtete, sich so den Markt mit weiblichen Verhütungsmitteln kaputt zu machen. Aber die Zeiten ändern sich ja zum Glück und immer mehr Frauen sagen: Verhüte du doch mal. Das ist auch bei der Industrie angekommen.
Wird Androloge ein Männerberuf?
Im Gegenteil. Ich arbeitete mit Ärztinnen und Ärzten zusammen und kenne viele Frauen, die an dem Beruf interessiert sind. Ich glaube, dass sich viele Männer Frauen gegenüber besser öffnen können, weil sie Männer als Konkurrenten wahrnehmen. Gerade weil Sexualität für Männer tabuisiert ist, müssen Andrologen sehr einfühlsam sein. Und das ist schließlich eine weibliche Qualität.