: „Auch den Polen tut der Rücken weh“
Mit einer Jobbörse fahndet die Arbeitsagentur nach Erntehelfern mit deutschem Pass. Bauern bezweifeln, dass die wirklich freiwillig ackern werden
aus Buxtehude KLAUS IRLER
Der blaue Planet hängt verlassen im schwarzen Nichts. Dann nimmt die Kamera Fahrt auf, rast auf die Erdoberfläche zu und plötzlich ist da in der Mitte der Leinwand – ein Apfel. Dieser durchschlägt die Schallmauer, das Bild färbt sich rot und Musik setzt ein: himmelstürmendes Pathos, komponiert von Carl Orff: Carmina Burana.
„Ozzy Osbourne lässt grüßen“, sagt im Publikum ein Typ mit langen blonden Haaren und Lederjacke, Mitte dreißig. „Das Stück hat der auf der ‚Randy Rhoads Tribute‘, diese violette Scheibe.“ Es bleibt die einzige Zuschauerreaktion. Aber das gute Dutzend Besucher ist auch nicht in den Seminarraum der Arbeitsagentur Buxtehude gekommen, um mit kulturellem Wissen zu glänzen. Sie sollen ackern, als deutsche Erntehelfer.
Um die Massen der Joblosen zu bewegen, haben die Agentur für Arbeit Stade, die Arbeitsgemeinschaft Jobcenter Stade und der Kreisbauernverband gemeinsam eine „Jobbörse für Erntehelfer“ realisiert – als bundesweit bislang einmaliges Modellprojekt. Die erste fand vor kurzem in Stade statt, die zweite nun hier in Buxtehude. Jobbörse, das bedeutet Informationen zur Tätigkeit durch Filme (1. Stock) und direkte Kontaktaufnahme zu den Bauern (Erdgeschoss). Zudem gibt es überall Ansprechpartner von Arbeitsagentur und Kreisbauernverband. Geöffnet hat die Börse zwischen 9 und 15 Uhr, gekommen sind insgesamt rund 250 Leute.
Die Veranstalter haben sich Mühe gegeben – auch bei der Motivation der Jobkandidaten. Offensichtlich wurden erst mal alle herbestellt, alte und junge, mit Schulabschluss und ohne. Etliche von ihnen dürften für die Feldarbeit schon aus Altersgründen flach fallen. Sie sind trotzdem da, weil sie ihrer Arbeitsagentur später den Teilnahmestempel vorlegen müssen.
Zudem sei der Besuch bei der Jobbörse auch „besser, als zu Hause rumzusitzen“, sagt der 19-jährige Mark. Eigentlich will er sich lieber als Kellner bewerben, aber: „Das ist heutzutage nicht mehr so einfach. ‚Wir suchen weibliches Personal‘, heißt es dann.“ Nun informiert er sich eben über Ernteeinsätze. Er kennt die Lage am Arbeitsmarkt. „Das eine ist, was man macht“, sagt er. „Und das andere, was man will.“
„Die Ernte ist überall auf der Welt Handarbeit“, erklärt derweil Bernd Eckhof im Seminarraum. Der Mann vom Kreisbauernverband steht im grauen Sakko neben der Leinwand, die nun Hände in Nahaufnahme zeigt: Hände, die Äpfel und Himbeeren pflücken, Spargel stechen oder Kohl wuchten. Dazu läuft nun weichgespülter Funk-Jazz wie beim Home-Shopping-Kanal. Die Gesichter seiner Zuschauer bleiben teilnahmslos, verschlossen. Eckhoff sagt zu den Bildern vom Spargelstechen: „Nach einer Woche hat man richtig gestählte Rückenmuskeln. Da braucht man kein Fitnessstudio mehr. Auch den Polen tut am zweiten Tag der Rücken weh. Wichtig ist, durchzuhalten.“
Die Polen. Bislang wurde der Job auf dem deutschen Felde fast ausschließlich von ihnen und anderen Osteuropäern erledigt. 5,42 Euro lassen sich brutto pro Stunde auf dem Acker verdienen. Gearbeitet wird bei jeder Witterung, je nach Bedarf bis zu zehn Stunden am Tag ab dem sehr frühen Morgen. Mit deutschen Arbeitskräften, das zeigt die Erfahrung der Bauern, ist zu diesen Bedingungen nichts anzufangen: Entweder sie kommen erst gar nicht, oder sie werden sehr schnell krank.
Das hatte Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) auf die Idee gebracht, den Druck zu erhöhen – nicht auf die Arbeitslosen, aber auf die Arbeitsagentur. Münteferings „Eckpunkteregelung“ vom vergangenen Dezember besagt, dass mindestens zehn Prozent der Erntehelfer im Jahr 2006 Deutsche sein müssen. Wenn das gelingt, könnte die Bundesagentur 32.000 der fünf Millionen Arbeitslosen aus der Statistik streichen – für zwei bis drei Wochen.
Nach dem Sinn der Aktion fragt hier vor Ort niemand. Die Bundesagentur ist ein hierarchischer Betrieb. Müntefering hat‘s beschlossen – und jetzt kommt es unten an, in Stade und Buxtehude, vorreitermäßig.
Am Infostand von Obstbauer Thomas Feindt steht ein Interessent, kurze, gegelte Haare, Motorradhelm, Rucksack. Setzen will er sich nicht. „Morgens geht das um 5 Uhr los“, sagt Feindt. „Das macht nichts“, antwortet der Motorradfahrer. Bezahlt würden die 5,42 Euro Mindestlohn, erklärt Feindt weiter: „Und dazu gehört bei mir auch eine Mindestleistung dazu. Das ist keine Anwesenheitspauschale.“ „Klar“, sagt der Interessent.
Es gibt eine Liste zum Einträgen. Die Namen werden die Bauern abtelefonieren, wenn es losgeht, im April mit dem Spargel, im Juli mit den Himbeeren, im September mit den Äpfeln. Nach der ersten Jobbörse in Stade blieben 540 Anwärter „im Pool“ – der Pool, das sind die Listen. Insgesamt hätten sich in ganz Niedersachsen bislang rund 6.000 Arbeitslose freiwillig eingetragen, meldet die Bundesagentur.
Obstbauer Jan Köpke hat versuchsweise mal zehn der Interessenten angerufen. „Davon war einer bereit für ein Vorstellungsgespräch“, sagt Köpke. Von 100 Interessenten, so schätzt er, werden zwei bis drei tatsächlich bei ihm anfangen. Und was Münteferings Eckwert betrifft, ergänzt er: „Die zehn Prozent werden sie nicht erreichen können. Das ist absolut unmöglich.“ Woran es liegt, dass die Deutschen nicht ziehen? „An der Motivation. Für die Polen ist das eine Jahresgage, was sie hier in einem Monat verdienen“, sagt der Obstbauer.
Bei der Arbeitsagentur in Deutschland ist die Erntehilfe hingegen als Zusatzverdienst für Arbeitslose gedacht. 200 bis 250 Euro könnten so zum Arbeitslosengeld dazukommen, erklärt Friedhelm Keiser von der Arge Stade. Eingerechnet ist dabei schon eine Durchhalteprämie von 150 Euro, die die Arbeitsagentur jedem deutschen Erntehelfer pro Monat zahlt. Gewährt wird die Prämie für maximal drei Monate. Wobei auch die Polen drei Monate nicht durchhalten könnten, sagt ein Landwirt.
Klar ist den Leuten von der Bundesagentur: Gezwungen zur Erntehilfe wird niemand. Und wenn trotz Freiwilligkeit, Jobbörse und Durchhalteprämie keine zehn Prozent deutsche Helfer zusammenkommen, muss die Ernte trotzdem eingefahren werden. Dann würden die Behörden einfach mehr Anträge von Osteuropäern genehmigen.
Wundern würde es unter den Bauern kaum jemanden, wenn dieses Jahr am Ende genau so viele Polen wie letztes Jahr auf den Feldern arbeiteten. Obstbauer Köpke jedoch will mit seiner Teilnahme an der Jobbörse die Arbeitsagentur unterstützen. „Dass die sehen können: Wir wollen was dafür tun und erklären uns bereit, uns auch mit den Deutschen abzugeben.“