: Verdächtig: Raucher zwischen 16 und 40
ÜBERWACHUNG In Hamburg werden Polizeikontrollen derzeit massiv ausgeweitet. Die Opposition und Anwälte kritisieren das als unverhältnismäßig, weil es nur geringfügige oder gar keine Anlässe gibt
Am Abend des 26. Juli, einem Freitag, kontrollierte die Hamburger Polizei von 20 Uhr bis spät in die Nacht gemeinsam mit der Bundespolizei und privaten Sicherheitsdiensten an verschiedenen U- und S-Bahnhöfen insgesamt 5.760 Menschen. Dabei wurden insgesamt 283 Schwarzfahrer ertappt, 102 Anzeigen wegen eines Verstoßes gegen ein geltendes Alkoholverbot im Nahverkehr erstattet, 20 Platzverweise erteilt und 17 Strafanzeigen gestellt.
Die Mehrheit der Anzeigen bezieht sich auf das Schwarzfahren, das in neun Fällen auch noch strafrechtlich (Erschleichen von Leistungen, §265a StGB) verfolgt wird. Im engeren Sinne „erheblich“ oder gar „sicherheitsrelevant“ erscheinen dagegen lediglich drei angezeigte Körperverletzungen. Dafür hat die Polizei allerdings immerhin in die Handlungs- und Bewegungsfreiheit von 5.760 Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen.
Die Beteiligten bewerten den Schwerpunkteinsatz dennoch als „Erfolg“, der geeignet sei, die „Sicherheit, insbesondere in den U- und S-Bahnhöfen im Innenstadtbereich, zu erhöhen“, so die Hamburger Polizei. Skeptischer sind einige Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft: Sowohl Christiane Schneider und Heike Sudmann (Die Linke) als auch Antje Möller (Grüne) stellten Kleine Anfragen an den Senat. In erstaunlicher Offenheit heißt es in der Antwort, „einen konkreten Anlass“ für die Maßnahme, die Möller eine reine „Leistungsschau“ nennt, habe es nicht gegeben.
Rechtsgrundlage solcher „Schwerpunkteinsätze“ sind die Gesetze zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) und das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG). Beide wurden 2005 aus Sicht von Kritikern erheblich verschärft. So kritisieren die Rechtsanwälte Ulrike Donat und Carsten Gericke in einem Gutachten „eine Vielzahl teilweise problematischer Änderungen“. Unter anderem beklagen sie die Ausdehnung des Begriffs „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ auf zahlreiche Vergehen. Letzteres wird im Gesetz wiederum mit der Ermächtigung verknüpft, dass die Polizei „in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen“ darf.
Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte Gefahrengebiet, das die Hamburger Polizei am 1. Juni 2013 im beliebten Schanzenviertel dauerhaft einrichtete, insgesamt bereits das vierte in der Stadt. Dort kann die Polizei nun Personalien feststellen, Taschen kontrollieren und Aufenthaltsverbote aussprechen. Ging es bei solchen polizeilichen Maßnahmen früher um die Eindämmung schwerer Gewalt- und Drogenkriminalität, so reicht heute die Tatsache, dass in einem Park des Stadtteils mit Haschisch gedealt wird.
Der Hamburger Rechtsanwalt Gerrit Onken sieht hier eine erhebliche Problematik im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: „Da die Grundlage interne polizeiliche Lageeinschätzungen bilden, die öffentlich nicht zugänglich sind, gibt es auch keine Möglichkeit, diese vorab gerichtlich zu überprüfen“, so Onken. „Erst wenn jemand zum Beispiel einen Platzverweis erteilt bekommen hat, kann man rechtlich gegen diese Einzelmaßnahme vorgehen. Aber was nützt es der betroffenen Person, wenn sie dann Monate später Recht bekommen sollte?“ Die Betroffenen hätten praktisch keine Möglichkeiten, den polizeilichen Einschätzungen zu widersprechen.
Im Falle des Gefahrengebiets im Schanzenviertel antwortete der Senat auf eine Kleine Anfrage, als Zielgruppe seien von der Polizei unter anderem Personen „im Alter zwischen 16 und 40 Jahren“ benannt worden, die „beständig im Gefahrengebiet ausharren, durch zur Schau gestelltes Desinteresse und scheinbares Unbeteiligt-Sein Anlass zur Kontaktaufnahme durch potenzielle Dealer bieten oder sich konspirativ verhalten (z. B. beim Konsum von vermeintlichen Tabakprodukten)“. Mit anderen Worten: Die Kontrollen können jeden treffen, der Samstagabend unbeteiligt im Park eine Kippe raucht. ANDREJ REISIN