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Archiv-Artikel

„Plötzlich ist die Renaissance gar nicht mehr weit weg“

MUSIKFEST BREMEN Alte Musik auf alten Instrumenten? Hochaktuell, findet Festivalchef Thomas Albert

Thomas Albert

■ 59, Violinist, gründete 1986 die Akademie für Alte Musik in Bremen, 1989 das dortige Musikfest. Lehrt seit 1989 in Bremen Barockvioline.

taz: Herr Albert, wird Musik erst durch historische Aufführungspraxis schön?

Thomas Albert: Ich finde schon. Das liegt vor allem daran, dass sie neue Klangschattierungen bietet – nicht nur wegen der Renaissance- und Barock-Instrumente wie Gambe, Laute, Traversflöte, die anders klingen als heutige Instrumente. Teil des Faszinosums ist auch, dass sie mitteltönig gestimmt sind. Das ist eine Frequenz, die wir als besonders rein und harmonisch wahrnehmen.

Und das bemerken heutige Hörer?

Wenn mich Studenten das fragen, sage ich: Wir stimmen jetzt mal unser Streichquartett auf diese Art durch. Wenn Sie das einmal gemacht haben, werden Sie es nicht mehr los. Sie entwickeln ein Gefühl dafür, ob die Akkorde stimmig klingen. Das ist Psychologie oder was auch immer. Man hört sich schnell ein und ist dann positiv vorgeprägt.

Auch das Publikum?

Ja, und das funktioniert ohne belehrenden Zeigefinger. Wir spielen einfach, sagen aber nicht: Hör da jetzt mal besonders hin! Wir lassen die Musik wirken. Mit dem Ergebnis, dass die Leute hinterher sagen: Das klingt anders. Und dann fragen sie: Was ist anders? Dann sagen wir: Es könnte an der Klangfarbe liegen. Aber wir geben nur Hinweise. Wir sagen nicht, dass das ein musikalisch-mathematisches Gesetz ist. Die Vermittlung eines qualitativen Wertes geht viel subtiler vor sich.

Bedeutet historische Aufführungspraxis für Sie Demut?

Respekt ja, aber Demut? Das Wort ist mir zu groß. Es gibt viele Leute, die Bachs Musik anbeten. Das empfinde ich als Erstarrung.

Erstarren nur die Zuhörer?

Das kann auch Musiker betreffen. Deshalb sind die Aufführungspraktiker mit Musikern in einen kranken Konflikt geraten, weil sie nicht auf derselben Ebene diskutieren. Denn die Anbetungsebene fehlt den Leuten, die sich für historische Aufführungspraxis interessieren. Dabei erfassen sie die Tiefe eines Werks mindestens so intensiv.Inwiefern?

Wer über ein größeres Klangfarbenspektrum reflektiert, hat ganz andere Kontrastmöglichkeiten und geht anders an die Spiritualität einer Musik heran als der Ehrfürchtige. Die historische Aufführung geht auf eine aufgeklärte Weise an ein Werk heran. Für mich ist das die aktuellste Form im Umgang mit historischer Musik.

Mit Musik haben Sie 1986 bei den Bremer Sozialpolitikern um Geld für Ihre Akademie für Alte Musik geworben.

Ja, das war irre! Ich hatte natürlich vorher Verbindungen geknüpft, hatte ein eigenes Ensemble. Aber uns fehlte Geld, und das Wort „Sponsor“ gab es noch nicht. Da hörte ich, dass es beim Sozialsenator Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gab. Daraufhin bin ich mit meiner Geige zur Sachbearbeiterin gegangen. Und als sie fragte, was an Alter Musik anders sei, habe ich vorgespielt. Aus allen Zimmern kamen Menschen, am Ende habe ich die Stellen bewilligt bekommen.

Würden Sie so was wieder tun?

Ja, natürlich. Im Moment ist es nicht nötig. Aber ich wäre dazu bereit. Denn wenn man für etwas brennt, hat es keinen Sinn, berechnend zu sein, sondern dann muss man sagen: Ich liebe das. Lieben Sie das vielleicht auch?

Warum bietet Ihr Musikfest nicht nur Alte Musik?

Weil jede nicht aktuelle Musik als Alte Musik gelten kann.

Der Komponist muss gestorben sein, und das genügt?

Nein, er kann ja wunderbar leben und vor 50 Jahren schon Klassiker geschrieben haben. Aber grundsätzlich finde ich die Schubladen „Alte Musik“ und „Neue Musik“ falsch. Wenn wir heute Monteverdi spielen – mit Renaissance-Zink, Laute und Orgel: Dann hören Sie etwas, das Sie noch nie gehört haben. Und Sie sagen hinterher: Ich habe etwas ganz Aktuelles, Frisches erlebt. In solchen Momenten spüren Sie, dass 10 Generationen nichts sind: Die haben ihren Gulasch ganz ähnlich gekocht wie wir. Diese Nähe funktioniert aufgrund der historischen Aufführungspraxis. Der wissenden Musiker.  INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

■ Musikfest Bremen: 24. August bis 6. September www.musikfest-bremen.de