: Die Fantasien und der reale Horror dahinter
REPORTAGE Peter Fröberg Idling auf den Spuren schwedischer Intellektueller, die 1978 Kambodscha besuchten
VON CRISTINA NORD
Herr Sem bessert seine karge Rente auf, indem er in Phnom Penh Taxi fährt. Bis 1975 war er Staatsbediensteter, was ihn in den Augen der Roten Khmer, die im April jenes Jahres die Macht in Kambodscha ergriffen, verdächtig machte. Der Verfolgung entkam er, weil er in den Nordwesten flüchten und sich dort als Fabrikarbeiter ausgeben konnte.
Davon erzählt er dem schwedischen Autor Peter Fröberg Idling, den knapp 30 Jahre später eine Recherchereise durch das südostasiatische Land führt. Herr Sem spricht fließend Französisch, und als Fröberg Idling wissen möchte, warum das so ist, hat er eine Anekdote parat: Gelernt habe er die Sprache vor langer Zeit in den Kursen eines gewissen Saloth Sar. Als er 1979 zum ersten Mal ein Foto von Pol Pot, dem Führer der Roten Khmer, sah, war er sehr verblüfft. Denn der Mann auf dem Foto war niemand anders als sein einstiger Französischlehrer. Pol Pot war Saloth Sar. Und was das Pseudonym bedeutete, weiß Herr Sem auch. Es stand für „politique“ und für „potente“.
Die Anekdote hat einen winzigen Makel, weil es das Wort „potente“ auf Französisch nicht gibt, höchstens „puissant“, mächtig, oder „potentat“, Machthaber. Geht man durch den haarfeinen Riss in der Geschichte hindurch, gelangt man zum Kern von Peter Fröberg Idlings Buch „Pol Pots Lächeln“, das in Schweden 2006 erschien und nun auf Deutsch vorliegt. Denn darin geht es immer wieder um die Frage, was und wem man glauben kann. Welche Berichte sind Propaganda, welche vertrauenswürdig?
Der Anlass zu diesen Fragen ist etwas, was zunächst entlegen anmutet: eine Reise von vier Schweden im August 1978 ins seinerzeit nach außen hin abgeriegelte Kambodscha. Zwischen 1975 und 1979 findet dort ein Massenmord statt, es gibt Folter- und Todeslager, und Hunderttausende sterben an Hunger und Entkräftung, nachdem sie unter Zwang von den Städten aufs Land umgesiedelt worden sind. Heute schätzt man die Zahl der Opfer auf 1,7 Millionen.
Skepsis in winzigen Dosen
Doch all das sehen die vier Schweden nicht; sie sehen, was ihnen vorgeführt wird und was zu sehen sie geneigt sind: eine einstige Kolonie, die, kaum unabhängig geworden, in den Kalten Krieg hineingezogen und von US-amerikanischen Bombardements verwüstet wird, der es jedoch dank eines bäuerlichen Kommunismus gelingt, autark zu werden. In den Reiseberichten, die sie veröffentlichen, deutet sich Skepsis gegenüber den Maßnahmen der Roten Khmer nur in winzigen Dosen an.
Was „Pol Pots Lächeln“ über die Grenzen Schwedens hinaus interessant macht, ist der Umstand, dass die vier Kambodscha-Reisenden Teil einer auch in anderen Ländern aktiven antiimperialistischen Linken waren, die sich für den Freiheitskampf unterdrückter Völker – sei es in Nicaragua, in Vietnam, in Palästina oder eben in Kambodscha – begeisterte. Das Regime der Roten Khmer fand einen berühmten Fürsprecher zum Beispiel in Noam Chomsky, der, wie Fröberg Idling schreibt, seine Autorität als Sprachwissenschaftler nutzte, um Berichte von Flüchtlingen aus Kambodscha zu diskreditieren, während er den offiziellen Regierungsberichten Glaubwürdigkeit zuerkannte.
„Pol Pots Lächeln“ setzt sich wie ein Puzzle zusammen, eine Vignette reiht sich an die nächste. Unter anderem führt Fröberg Idling ins Paris der 50er Jahre, wo Saloth Sar studierte und sich radikalisierte, er sucht die schwedischen Kambodscha-Reisenden auf, die skeptisch auf ihre Blindheit von einst schauen; nur einer, der Autor Jan Myrdal, weist ihn schroff zurück. Er reist selbst durch das südostasiatische Land, führt Interviews, sucht nach den Männern und Frauen, die 1978 die Schweden begleiteten, er besucht das Lager S-21 in der Hauptstadt, das heute ein Museum ist und das ihn an Auschwitz denken lässt, er erläutert das schwierige Verhältnis von Vietnam und Kambodscha und unter welchen Umständen Pol Pot an die Macht kam – mithilfe des einstigen Königs Sihanouk, der in den 50er und 60er Jahren Hatz auf Kommunisten machen ließ.
Schließlich erklärt Fröberg Idling, wie das Regime der Roten Khmer sich selbst über die Hungersnot täuschte: Die Kader in den Dörfern fürchteten, exekutiert zu werden, sobald sie ungeschönte Berichte abgeschickthätten. Also sandten sie geschönte Berichte.
„Pol Pots Lächeln“ ist reich an Informationen, doch bisweilen wünscht man sich, der Autor hätte die unterschiedlichen Zeitebenen stärker in eine zusammenhängende Argumentation eingebunden. In der Sprunghaftigkeit verliert der Text stellenweise aus dem Blick, was relevant ist und was Nebensache.
Hinzu kommt, dass dem 2006 erschienenen Buch ein entscheidendes Detail fehlen muss. Seit 2007 macht ein Internationales Tribunal den Tätern, die noch leben, den Prozess. Kaing Guek Eav, besser bekannt als Duch, der Leiter des Lagers S-21 in Phnom Penh, wurde zum Beispiel zu 35 Jahren Haft verurteilt. Die Arbeit dieses Strafgerichtshofs mag darunter leiden, dass sich im Kambodscha der Gegenwart der Selbstaufklärung vieles in den Weg stellt, aber sie macht doch eines unmissverständlich klar: Die Roten Khmer haben sich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten; ihr Regime war eines des Terrors.
Es gibt Passagen in dem Buch, die sich so sehr in Überlegungen über die schwierige Prozedur der Wahrheitsfindung ergehen, dass sie hinter diese Klarheit zurückfallen. Das mutet befremdlich an, fast als würde der Massenmord noch einmal geleugnet. Wenige Seiten später wird deutlich, wie wenig das Fröberg Idlings Ansinnen entspricht, doch man wundert sich über eine Textstrategie, die noch einmal alle Argumente hin und her wendet, obwohl das Ergebnis feststeht. Sie erscheint spitzfindig, dem Gegenstand nicht angemessen. Vielleicht ist die Frage danach, wie leicht man einer antiimperialistischen Wunschfantasie Glauben zu schenken gewillt ist, nicht entscheidend, sobald man weiß, welcher Horror sich hinter dieser Fantasie verbarg.
■ Peter Fröberg Idling: „Pol Pots Lächeln. Eine schwedische Reise durch das Kambodscha der Roten Khmer“. Aus dem Schwedischen von Andrea Fredriksson-Zederbauer. Edition Büchergilde, 352 Seiten, 22,95 Euro