Die These : Die Zweistaatenlösung ist ein ZombieDenkt anders!
FRIEDEN Israel und Palästina verhandeln seit Jahrzehnten. Sie sollten endlich damit aufhören
■ geboren 1976 in Jerusalem, ist Schriftsteller. Sein Vater und auch sein Großvater waren Minister der israelischen Arbeitspartei. Barams letztes ins Deutsche übersetzte Buch „Gute Leute“ ist Ende 2012 im Hanser Verlag erschienen.
AUS TEL AVIV NIR BARAM
Berlin im Jahr 2017: Gesponsert von 16 verschiedenen NGOs findet eine Tagung in einem wunderschönen Hotel statt. Leute aus Europa, Israel und den USA treffen sich in der Lobby: Politiker, Intellektuelle, Diplomaten, Journalisten. Unmöglich, nicht die wachsende Spannung zu spüren, mit der die Geladenen dem Höhepunkt der Konferenz entgegenfiebern: Schimon Peres, der frühere Präsident Israels, wird zu ihnen sprechen. Und dann, was passiert dann? Auch Mahmud Abbas wird eine Rede halten. Die beiden werden sich die Hände schütteln. Ein früherer deutscher Diplomat, Glanz in den Augen, wird fragen: „Glaubst du, sie tun es wirklich?“
Der Titel der Rede von Schimon Peres klingt alt und neu zugleich: „Fünfzig Jahre Sechstagekrieg und Zweistaatenlösung: Es ist möglich, es ist der einzige Weg, die Zeit ist reif dafür!“ Nach den Reden dann eine Show, mit Tänzern und Tänzerinnen aus Tel Aviv und Ramallah – Kindern beider Städte! Kann eine Veranstaltung spannender sein?
Wahrscheinlich wird so ein Event auf die eine oder andere Art irgendwann stattfinden. Die Diskussionen, Verhandlungen, Konferenzen, Friedensgespräche, Vereinbarungen, Meetings und Bemühungen, die es seit Jahrzehnten gibt, zielen auf nur eine Lösung: die Zweistaatenlösung. Um es klar zu sagen: Lange habe ich diese Vision unterstützt. Aber Jahre fruchtloser Gespräche mit dem schlimmsten Schiedsrichter und Schicksalslenker, den man sich vorstellen kann – den USA –, lassen mich annehmen, dass es sich um eine Zombievision handelt. Um etwas, worüber man in politischen Versammlungen in Oslo oder Berlin reden kann, aber vor Ort, im Westjordanland, im Alltag, ist sie bedeutungslos.
Leute sagen zu mir: Aber wenn du an etwas glaubst, dann musst du dafür kämpfen, dann darfst du nicht die Hoffnung verlieren, vielleicht ändert sich ja etwas, Europa wird die Federführung über die Gespräche übernehmen, eine andere Regierung in Israel oder meinetwegen auch China wird an die Macht kommen und eine Lösung einfordern, die Jugend wird aufbegehren und nach Frieden rufen. Meine Antwort wird simpel sein: Wir reden seit vierzig Jahren darüber, und während wir darüber reden, wird alles getan, um eine Lösung zu verhindern – die immer neuen Siedlungen, die die Israelis auf palästinensisches Gebiet bauen, sind ein Beispiel dafür, oder dass palästinensische Kinder weiterhin von israelischen Streitkräften verhaftet werden. Also gebt mir ein Datum, wann ihr aufhört zu reden und anfangt, über neue Ideen nachzudenken. 2017? 2027? 2100?
Was in den letzten zehn Jahren passiert ist, geschieht nach dem immer gleichen Muster: Es wird geredet, aber nichts getan. Darauf hat sich der rechte Flügel in Israel politisch verständigt (und die Arbeitspartei übrigens auch). Geredet werden muss, weil Israel nicht riskieren will, was Südafrika zu Zeiten der Apartheid erlebt hat: dass das Land boykottiert wird. Israel hat Angst, dass die Besetzung palästinensischer Territorien so am Ende doch noch wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen könnte. Bisher nämlich konnte das Land sehr eindrucksvoll demonstrieren, dass Frieden mitnichten notwendig ist, damit es prosperiert. Du kannst Territorium besetzen, und deine Wirtschaft wächst trotzdem. Wenn das also stimmt, und es stimmt, dann gibt es überhaupt keinen Anreiz mehr für Israel, die Besetzungen zu stoppen und sich auf einen schwierigen innenpolitischen Streit mit den Siedlern einzulassen.
Gespräche, Abbruch – egal: Israel baut Siedlungen
An genau dieser Stelle kommen die USA und Europa ins Spiel: Die feiern jedes noch so kleine „positive“ Signal aus Israel. Richtig? Also gibt ihnen Israel jedes Mal, wenn die Kritik wieder lauter wird, ein positives Signal und zeigt sich in irgendeinem bedeutungslosen „Prozess“ engagiert. Und während der „Prozess“ noch im Gange ist, baut Israel weiter an seinen Siedlungen. Das ist die Krux: Kontinuierlich hat Israel in den letzten dreißig Jahren Siedlungen gebaut. Gespräche, Abbruch der Gespräche, Vereinbarungen, Meetings, Road Maps, Kriegserklärungen – egal: Israel baut Siedlungen.
Der „Prozess“ ist wichtiger als alles andere. Bleiben wir nur immer im „Prozess“ – dem Muster, das über einen so langen Zeitraum schon funktioniert. Die Politiker und Diplomaten fürchten, dass es eine weitere Intifada geben könnte, deshalb möchten sie, dass man ihnen glaubt, sie seien an Frieden interessiert. Aber dabei machen sie zwei Fehler: Sie legen keinen klaren Zeitplan für den Friedensprozess vor, weil sie auch da fürchten, dass damit eine Intifada ausgelöst werden könnte. Und, noch schlimmer: Sie überlegen sich keine Alternative zur Zweistaatenlösung. Dieser Fehler ist entscheidend. Du kannst dich den Fakten nicht verschließen und das immer gleiche Lied singen. Das ist verantwortungslos.
Wirklich, Israel ist mit einer ganz einfachen Wahl konfrontiert, jeder Fünfjährige versteht sie: Wenn Israel entscheidet, dass die Siedlungspolitik wichtiger ist als die Zweistaatenlösung – und alles weist in diese Richtung –, dann ist die Entscheidung, die getroffen werden muss, doch ganz einfach: Apartheid oder Demokratie. Mehr nicht. Wenn Israel die Siedlungen unbedingt will, kann das Land den Palästinensern ja die volle Staatsangehörigkeit und alle bürgerlichen Rechte geben, oder es muss ihnen andere Lösungen anbieten, etwa eine flexible Zweistaatenlösung ohne Grenzziehungen und dem Recht, sich frei zwischen den zwei Staaten zu bewegen. Oder was anderes. Intellektuelle und Politiker müssen neue Modelle entwickeln und sie offen zur Diskussion stellen. Wir brauchen diese Gespräche dringend.
Natürlich kannst du auch weiterhin über deine dir ans Herz gewachsene Zweistaatenlösung sprechen oder über den Clinton-Plan und die glücklichen Tage von Oslo – ich bin kein Nostalgiker, aber ich verstehe, wenn du daran hängst. Aber du musst auch den Tatsachen ins Auge sehen: Eure Vision verblasst. Und was habt ihr als Antwort darauf? Nichts? Keine Idee? Kein wirkliches Gespräch?
Wir lassen zu, dass die Zweistaatenlösung unser Denken lähmt, und viele Leute haben auch nicht den Mut über Postzweistaatenlösungen zu sprechen, weil sie wissen, dass man ihnen sofort vorwerfen wird, sie versuchten, den jüdischen Staat zu zerstören.
Deshalb gilt bei Gesprächen: Rede über die Zweistaatenlösung, selbst wenn du weißt, es wird unmöglich, sie auszuführen – und sprich über keine Alternativen. Kapiert? Gut!
Man könnte mich jetzt fragen: Aber was bietest du uns an? Und ich kann nur ehrlich antworten: Zuerst muss damit aufgehört werden, die Tatsache zu leugnen, dass wir uns auf einem Weg befinden, der die Zweistaatenlösung unmöglich macht. Im Augenblick haben wir die Verhandlungen, die John Kerry, der Außenminister der USA, „produziert“: Okay, lass die Diplomaten noch einmal eine amerikanische Produktion erleben, wir nehmen ja alles von Hollywood, warum also nicht auch die Ideen, die vom Außenministerium der USA kommen.
Zynismus – statt einer besseren Zukunft
Aber während diese Produktion läuft, lass uns über andere Lösungen nachdenken. Ich schlage Gespräche zwischen Palästinensern, Israelis und allen anderen Seiten vor. Lass uns über 1948 und 1967 reden und neue Modelle entwickeln. Nichts ist perfekt, aber wir können es uns nicht mehr leisten, dass das unsere einzigen Optionen sind: eine Zweistaatenlösung oder der Status quo. Es sollte uns klar sein, dass es so unmöglich weitergehen kann. Du möchtest eine Deadline dafür? Vielleicht 2015? Okay. Mehr geht nicht. Mehr gibt’s nicht. Muss die Besetzung palästinensischer Gebiete eben bis dahin beendet sein. Es gibt eine einfache Regel, die allen Lösungen zugrunde liegt: Demokratie und nicht Apartheid.
Der nie enden wollende „Prozess“ schadet: Früher war damit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbunden, jetzt steht er nur noch für Zynismus und Verzweiflung. Wir haben einen Zustand erreicht, in dem alles bloß noch hoffnungslos scheint. Wenn wir aus dieser gefährlichen Kiste herauswollen, dann sollten wir mutiger sein, wenn wir über unsere Zukunft nachdenken. Es wird allerdings die schlimmsten Konsequenzen nach sich ziehen, fürchte ich, sollten wir auch die nächsten dreißig Jahre weiterhin dasselbe sagen.