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Archiv-Artikel

„Die Leute sollen in der Kirche bleiben“

Politik und Kirche sind eng verflochten, sagt Politologe Carsten Frerk. Den Staat kostet das jährlich 20 Milliarden

taz: Herr Frerk, 30 Euro für einen Kirchenaustritt – dafür kann ein Verwaltungsbeamter viele Verwaltungsbriefe verschicken. Ist das wirklich so viel Aufwand?Carsten Frerk: Vielleicht kriegt man in NRW ja noch eine schicke Urkunde dazu. Im Ernst: 30 Euro ist ein unverschämter Preis für einen solchen Vorgang. Das sieht man ja schon daran, dass das in anderen Bundesländern weniger oder nichts kostet. Bei dem Preis dahinter steckt wohl eine andere Motivation.

Welche?

Die Leute sollen in der Kirche bleiben. Eigentlich verlassen sie ja in Scharen die Kirchen. 30 Euro sind für Studenten oder Arbeitslose viel Geld: Genug, um eine Menge Austritte zu verhindern.

Das ist ja nun eigentlich keine staatliche Aufgabe.

Na ja, Herr Rüttgers ist bekanntermaßen ein strammer Katholik und auch die nordrhein-westfälische Landesverfassung bekennt sich zu christlichen Werten. Und vor allem darf man nicht unterschätzen: Kirchenfunktionäre haben hinter den Kulissen großen Einfluss auf die Politik: Immerhin sind über 80 Prozent der deutschen Politiker Kirchenmitglieder – zum Teil in hohen Positionen. Sie wollen natürlich keine Mitglieder verlieren. Nicht zuletzt verlieren die Kirchen dadurch ja auch Kirchensteuer.

Die Austritts-Gebühr soll dem Land 1,8 Millionen einbringen. Hat der Staat da nicht doch ein finanzielles Interesse an der Kirchenmüdigkeit?

Nein, das spielt, glaube ich, keine Rolle. Die politischen Klassen sind in Deutschland so eng mit der Kirche verwoben, dass eine Kirchenaustrittspolitik unvorstellbar ist. Sonst würde der Staat schließlich nicht die Kirchenmitglieder verwalten – was richtig viel Geld kostet.

Wie viel denn?

Bis auf ganz wenige Ausnahmen gibt es ja keine kirchlichen Finanzämter, sondern die staatlichen kümmern sich um die Kirchensteuern – und die sind ja de facto Mitgliedsbeiträge. Dafür behalten die Finanzämter zwischen drei und vier Prozent der Kirchensteuer ein. Sie müssten aber eigentlich mindestens 15 Prozent einbehalten, um kostenneutral zu arbeiten. Das sind knapp eine Milliarde Euro, die der Staat den Kirchen schenkt. Die müssten sonst Finanzbeamte einstellen und bezahlen, große Gebäude bauen und unterhalten.

Der Staat subventioniert also die Kirchen.

Auf jeden Fall. Obwohl das öffentlich nie ausgesprochen und auf Nachfrage auch bestritten wird. Ein Posten taucht jedoch auch im Subventionsbericht der Bundesregierung auf: Dass man Kirchensteuern von der Einkommenssteuer absetzen kann, kostet den öffentlichen Kassen jährlich 3,7 Milliarden Euro. Alle anderen Subventionen werden nicht bei ihrem wahren Namen genannt.

Wo wird subventioniert?

Der Staat bezahlt die theologische Ausbildung, den Religionsunterricht an den Schulen, die Militärseelsorge, den Großteil der Anstaltsseelsorge. Außerdem müssen die Kirchen keine Kapitalsteuern zahlen. Vorsichtige Schätzungen gehen von 14 Milliarden Euro staatlicher Subventionen für Kirchen aus. Ich glaube, dass es eher 20 Milliarden Euro sind.

Fast alle gesellschaftliche Gruppe müssen zur Zeit finanzielle Kürzungen hinnehmen. Warum wird hier nicht gespart?

Es gibt noch immer 52 Millionen Kirchenmitglieder in Deutschland – auch wenn Teile davon das nicht praktizieren. In Zeiten, wo zwei Prozentpunkte über politische Mehrheiten entscheiden, will man es sich mit so einer großen Lobby nicht verscherzen.

INTERVIEW: MIRIAM BUNJES