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Archiv-Artikel

Deiche kriegen auf den Deckel

KÜSTENSCHUTZ Mit breiteren Deichen will Schleswig-Holstein dem Anstieg des Meeresspiegels begegnen. Wissenschaftler: Marsch zur Seenlandschaft umgestalten

Landwirte müssten auf schwimmende Treibhäuser oder auf Fischzucht umsteigen

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Mit einem neuen Generalplan Küstenschutz will Schleswig-Holsteins Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Juliane Rumpf (CDU), den Auswirkungen des Klimawandels begegnen. „Ohne Deiche stünde ein Viertel des Landes mehrmals im Jahr unter Wasser“, sagte Rumpf am Donnerstag in Brunsbüttel. Die Politik müsse sich auf einen Anstieg des Meeresspiegels von „bis zu eineinhalb Metern“ bis zum Ende des Jahrhunderts einstellen. Deshalb müsse die zehn Jahre alte Planung bis Ende 2012 grundlegend überarbeitet werden. Erstmals werde auch ein Schutzplan für die Ostsee erstellt werden, „um der gewachsenen Bedeutung des Schutzes an der Ostseeküste Rechnung zu tragen“.

Von zentraler Bedeutung sei es, so Rumpf, „ausreichend Freiräume für künftige Küstenschutzmaßnahmen“ zu schaffen und eine „neue Deichbauweise“ festzuschreiben. Dazu soll die Außenböschung der Meeresdeiche mit einer flacheren Neigung ausgestaltet und die Deichkrone von bisher 2,5 auf fünf Meter verbreitert werden.

Das erhöhe kurzfristig die Sicherheit und schaffe zudem langfristig „eine Baureserve für spätere Nachverstärkungen“, wie das Ministerium bereits im vorigen September angekündigt hatte. Dadurch könnte noch in Jahrzehnten mit geringem Aufwand den Deichen eine zusätzliche „Kappe“ aufgesetzt werden.

Im Land zwischen Nord- und Ostsee leben etwa 300.000 Menschen in den Küstenniederungen. Bisher werden Deichverstärkungen mit einem „Klimazuschlag“ von 50 Zentimetern Höhe ausgeführt. 36 Kilometer Landesschutzdeiche wurden bereits verstärkt, weitere 76 Kilometer sollen folgen. Allein im laufenden Jahr werden nach Rumpfs Angaben 60 Millionen Euro für den Küstenschutz ausgegeben.

Nach Auffassung des Meeresforschers Karsten Reise sollte jedoch besser die Nordseeküste „am Reißbrett“ neu gestaltet werden: „Die ganze Landschaft muss umstrukturiert werden“, damit die Küste mit dem steigenden Meeresspiegel mitwachsen könne, sagt der Leiter des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in List auf Sylt.

Verstärkte und erhöhte Deiche reichten in Zukunft wahrscheinlich nicht aus, um die Küstenbewohner vor Sturmfluten zu schützen, erklärt der Experte: „Wenn der Meeresspiegel höher steigt, geht vor den Deichen der Wattenmeer-Puffer verloren.“ Bislang wirke die flache Küste nämlich wie ein Wellenbrecher. Aber bei der künftigen Geschwindigkeit des Klimawandels wachse die Küste nicht mehr mit, befürchtet Reise: „Sie geht einfach unter.“

Deshalb müsse die küstennahe Marschlandschaft umstrukturiert werden. Die Deiche sollen als Sturmflutbarrieren bleiben, hinterm Deich aber solle das Land nicht mehr entwässert, sondern teilweise sogar wieder unter Wasser gesetzt werden: Häuser müssten dann auf Pontons oder auf Warften gebaut werden und Landwirte ihr Gemüse in schwimmenden Treibhäusern anbauen oder auf Wasserfarmen mit Fischzucht umsatteln. Natürlich wolle niemand die ganze Marsch unter Wasser setzen, versichert Reise: „Aber man kann eine Hälfte vertiefen und die andere erhöhen.“ Ein solche künftige Seenlandschaft könne auch „touristisch sehr interessant sein“.

Ministerin Rumpf setzte am Donnerstag erstmal den ersten Spatenstich für eine Deichverstärkung vor Brunsbüttel. Für 20 Millionen Euro soll ein mehr als 50 Jahre alter Deich erhöht werden. Anlass für die örtliche Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe, auf die zusätzlichen Gefahren für die Deichsicherheit durch den Neubau von drei Kohlekraftwerken in der Kleinstadt an der Elbmündung hinzuweisen. Die Umweltministerin sei „gleichermaßen für die Kohlekraftwerke, Klimawandel und Deichsicherheit zuständig“, erinnerte Sprecher Karsten Hinrichsen: „Sollte Rumpf die geplanten Kohlekraftwerke, die den Klimawandel mit ihren enormen CO2-Emissionen zusätzlich anheizen würden, tatsächlich genehmigen, dann wäre dies eine inkonsequente Politik.“