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Archiv-Artikel

Psychedelisches Picknick

JUGEND FEIERN Gegen die Zeit, aber mit Stil: Die Band MGMT macht auf ihrem neuen Album „Congratulations“ eine spektakuläre Kehrtwende zum Stilwillen der Sixties

Das neue Album ist stellenweise eine klangliche Zeitreise in die Pop-DNA der Sechzigerjahre

VON JULIAN WEBER

Nur weil wir Mainstream sind, übernehmen wir nicht automatisch Mainstreamattitüden und hören Mainstream-Pop“, sagt Ben Goldwasser. Er sagt das sehr bestimmt. Zusammen mit Andrew VanWyngarden ist Goldwasser Kern der Band MGMT. Es läuft gut für sie. So gut, dass sie Angebote, mit Stadionrockern wie U 2 oder Coldplay auf Tour zu gehen, kategorisch ablehnen. Alle warten gerade eh schon gespannt genug auf ihr zweites Album „Congratulations“

Mit ihrem Debütalbum „Oracular Spectacular“ trafen MGMT 2008 einen Nerv. Die plakativen Synthiemelodien und Gesangsharmonien korrespondierten mit den Neopren-Badehosen und nassen T-Shirts, mit denen MGMT und ihre Freunde auf dem Cover an einem Strand abgebildet sind. Hier trugen gut aussehende Twens ganz selbstverständlich Style zur Schau. So tribalistisch, so die Jugend feiernd wie die MGMT-Hits „Kids“ oder „Electric Feel“ klang Pop in den Nullerjahren selten. „Unser selbstgebasteltes Debütalbum war ja auch als Satire auf Castingshows wie ,Popstars‘ gemeint“, sagt Goldwasser.

Eingeschüchtert hat die Band ihr Erfolg keineswegs. „Congratulations“, Glückwunsch, der Titel des neuen Albums mutet nicht nur leicht sarkastisch an, „es ist eine Reflexion dessen, wie absurd alles um uns herum seither geworden ist“, so Goldwasser. „Congratulations“ ist die Fortführung dieser Erfolgsgeschichte – und doch etwas völlig anderes. Im Sounddesign ist das Album ausgeklügelter als das Debüt. Die neun Songs sind nuanciert, introspektiv, eine klangliche Zeitreise in die Pop-DNA der Sechzigerjahre, hin zu den frühen Pink Floyd oder den Zombies.

Für diese Punktlandung haben MGMT den Engländer Peter Kemper als Produzenten engagiert. Man kennt ihn besser unter seinem Künstlernamen Sonic Boom als Mitglied der Neo-Psychedelik-Band Spacemen 3. Zusammen mietete man sich für mehrere Monate in einem Haus im kalifornischen Malibu ein, hörte Musik, jammte, entwickelte dabei eigene Strategien. Es war ein bisschen wie bei den Vorbereitungen zu den Dreharbeiten eines Spielfilms, sagt der 26-jährige Goldwasser.

„Malibu ist ein unwirklicher Ort, das hat auf die Musik abgefärbt. Kemper hat uns so produziert, wie unsere Lieblingsmusik, die wir zuhause unterm Kopfhörer anhören“, so Goldwasser. Statt der Synthesizer dominieren jetzt Cembalos, flirrende Orgeln, Oboen, wachsweiche Drums, Gitarrenmelodien und Chorgesänge mit viel Hall, die „Bababa“ singen. Die Atmosphäre ist angeturnt, modernistisch, man könnte sich die Band Fantasieuniformen tragend bei einem psychedelischen Picknick vorstellen oder beim Besuch der Flugzeugabteilung des Technikmuseums, wo sie neugierig und leicht verwirrt vor den Schaukästen stehen. „Silver Jet Plane / Exciting the brain“, singt VanWyngarden in dem Song „Siberian Breaks“. Ein Titel, der klingt wie ein SciFi-Roman von Philip K. Dick.

An der Spitze der Charts

Ihre Strategie sei der umgekehrte Sell-out, erklärte VanWyngarden im britischen Magazin Time Out. Erst seien sie an die Spitze der Charts geklettert, jetzt werden sie ob ihres Erfolgs ein bisschen schrullig.

VanWyngarden und Goldwasser gründeten ihre Band noch zu Collegezeiten in Connecticut. Beide besuchten dort die Kunsthochschule. „Wir waren von kreativen Menschen umgeben, die so wie wir experimentierfreudig waren. Die Schulzeit war gemeinschaftsbildend, ganz anders als in New York, wo in der Popszene starker Konkurrenzdruck herrscht und die Leute in der Vereinzelung ständig zum Multitasking gezwungen sind, was sie nicht gerade aufgeschlossen macht. Mir kam die Kunsthochschule dagegen vor wie ein Spaziergang“, sagt Goldwasser. „Wir mussten nicht hauptsächlich jobben, wir hatten Zeit, Musik auszuprobieren. Wir wuchsen auch an der Musik unserer Freunde. Und gleichzeitig konnten wir die eigene Musik in aller Ruhe entwickeln.“

Den starken Einfluss von Kunsthochschulen auf die Popmusik kennt man eher aus England. Dort haben Rockbohemiens und Popsituationisten wie John Lennon oder Malcolm McLaren schon in den Sechzigern ihre Karrieren an der Hochschule entwickelt und gelernt, wie man Avantgarde-Ideen als massenkulturelle Ware verpackt. „Sie haben Stilbewusstsein, Imagepflege und selbstbewusst-spielerische Haltungen in die Popmusik eingeführt“, schreiben die Soziologen Simon Frith und Howard Horne in ihrer Studie „Art into Pop“.

Seit den Swingin’ Sixties gibt es auch in den USA stets anglophile Musiker, die jeweils auf die neuesten britischen Modewellen von Beat bis Gothic Bezug nehmen. Aber so minutiös wie MGMT hat das noch niemand vor ihnen in den USA gemacht. Wenn der bildende Künstler Peter Blake einst das Cover des Beatles Magnus Opum „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ gestaltete, so ist sein Äquivalent für „Congratulations“ der kalifornische Künstler Anthony Ausgang. Er hat MGMT eine Art Airbrush-Design-Motorhaube als Coverillustration verpasst. Was sich außen wie ein Zitat aus Hot-Rod-Kultur und Surfbegeisterung anfühlt, ist innen eine Monsterwelle britischer Sixtiespop-Bezüge.

Die britische Popindustrie und ihre Musikmagazine sind zentral gesteuert. In den USA funktioniert Pop jedoch nach anderen kommerziellen Gesichtspunkten. Der US-Mainstream hat weniger Verknüpfungspunkte zum Untergrund. Zwischen Stadt und Land herrschen gravierende Unterschiede. Das hat wiederum auch mit der Geschichte der Segregation zu tun und mit einer anders ausdifferenzierten Klassengesellschaft. MGMT sind schon qua Erfolg aus ihren angestammten College-Proportionen herausgeschleudert worden. Während sie zuhause noch als Newcomer von der Ostküste gelten, die in Kalifornien aber noch kaum jemand kennt, haben sie in England dagegen bereits Titelgeschichten eingeheimst. Ihr Auftritt im März in London war national umjubeltes Tagesgespräch.

Collegerock oder Indierock galt in den USA lange als Musikgenre, das Bands bezeichnete, die irgendwie näher am Kern der Rockmusik sein wollten, sich mit ihren zerschlissenen Jeans authentisch gerierten. Der kommerzielle Overkill war mit dem Aufstieg der Band Nirvana und dem Selbstmord des Nirvana-Gitarristen Kurt Cobain erreicht. „Wir sind kein Bestandteil von Indierock“, erklärt Ben Goldwasser. „Dieser Drang zur Obskurität liegt uns fern. Indierock ist längst zum Fake geworden.“

Exzentrische Engländer

Mit „Song for Dan Treacy“ und „Brian Eno“ haben MGMT auf ihrem neuen Album dagegen gleich in zwei Songs Reminiszenzen an englische Popstars eingebaut. Während der androgyne Brian Eno als Mitglied von Roxy Music in den Siebzigern britische Artschool-Traditionen modernisierte und das Revival als Inszenierungsstrategie überhaupt salonfähig machte, ist Dan Treacy, Bandleader der Frühachtziger-Modband TV Personalities, als Prototyp des exzentrischen Engländers bekannt geworden. Jemand, der zu Punkzeiten an der damals verbotenen Frucht des Sixtiespop naschte. Gegen die Zeit, aber mit Stil. „Was uns so an der britischen Tradition gefällt, ist, dass Figuren wie Dan Treacy immer ein Bewusstsein für Popmusik haben. Auch wenn sie exzentrisch erscheinen, geht es ihnen doch um maximale Aufmerksamkeit, das imponiert uns“, sagt Ben Goldwasser.

MGMT ist die Abkürzung für Management: Der Popmanager ist als Figur geheimnisumwittert, aber auch berüchtigt. Seine ökonomische Aufgabe macht ihn zum Gegenspieler und Kontrolleur der ausführenden Künstler. „Unsere Priorität ist das Musikmachen, aber wir sind stark an der geschäftlichen Seite der Musik interessiert, und was diese aus uns macht. Andererseits lassen wir uns vom Business eben nicht abschrecken. Die Leute verlangen Hits, es wäre also ein Leichtes für uns gewesen, die Hooklines des Debütalbums zu wiederholen. So funktionieren wir aber nicht, wir haben das bewusst vermieden. Sixtiespop gilt doch als uncool.“

Goldwasser versteht den Einfluss der Sixties auch als Kritik an einem anderen Mainstream. „Wir sind von der Drogenkultur in unserer Heimat abgestoßen. Die Leute sind nur am oberflächlichen Feiern interessiert, nicht aber an Bewusstseinserweiterung. Wir finden Psychedelik vielschichtiger. Unser neues Album verneigt sich klanglich auch deshalb vor der Ära der psychedelischen Musik. Unsere Favoriten sind alle Meisterwerke jener Zeit, die beim genauen Anhören verzaubern. Mit ‚Congratulations‘ wollen wir diese Hörerfahrungen weitergeben.“

MGMT: „Congratulations“ (Columbia/Sony, erscheint am 9. April)