Ein kosmischer Klang weitet den Keller

NEUE ELEKTROHIPPIES Günter Schlienz, hauptberuflich Tontechniker an der Oper Stuttgart, macht kosmische Musik, die er auf Kassetten vertreibt. Am Samstagabend spielte er in der Sucked Orange Gallery

Die Luft im Neuköllner Keller war zum Schneiden, die Betreiber sprechen Spanisch

Kindermelodien, die ins All geschickt werden. Eine sanft schwingende Musik, die subtil und nachhaltig beruhigt. Natürlich ist das Musik, zu der man sich am liebsten auf den Teppich legt, Musik für sehr lange Autofahrten, am besten durch fremde Landschaften, am besten in Mietwagen auf kanarischen Inseln.

Der Begriff dazu lautete einmal „kosmische“ Musik. Das war grob gesagt eine Unterströmung des Krautrocks, also frühelektronische Musik aus den Jahren 1970 bis 1975, Soundexperimente mit frühen, zimmergroßen Synthesizern und Modulatoren, die gern auf Plattenlabeln wie „Ohr“ oder „Pilz“ u. Ä. erschienen – bekannteste Namen waren vielleicht Tangerine Dream oder Floh de Cologne.

Ähnlich wie der übergeordnete Krautrock, der noch stark auf Gitarren setzte, mäanderte die kosmische Musik am Rande des Hörbaren und atmete schwer an den Zeichen der Zeit. So mancher Protagonist blieb auch gern mal auf LSD hängen; und irgendwann verschwand die Szene in sich – nicht ohne wenig später von enthusiasmierten Engländern wieder entdeckt zu werden. Noch wenig später, richtige Musikologen mögen mir den groben Umriss verzeihen, wurde Techno erfunden, und viele seiner Spielarten fanden in der kosmischen Musik seine Vorbilder.

Mittlerweile hat sich aber etwas völlig Neues ergeben. Es gibt eine neue Szene für diese superchillige, fast grundsätzlich beatlose und dahin treibende Musik. Der Austausch findet natürlich im Internet statt, und wieder sind es deutsche Musiker, die mit im Zentrum stehen.

Das Medium für diese Musik ist aber witzigerweise die Musikkassette. Gerade eben erst wurde die neuste Bilanz der Musikindustrie veröffentlicht – der Markt für die CD bleibt konstant, im Wiedererstarken der Schallplatte kommt die „stattfindende Individualisierung des Musikkonsums zum Ausdruck“, so jedenfalls interpretiert es BVMI-Geschäftsführer Florian Drücke. Aber die Musikkassette findet offiziell nicht mehr statt. Offizielle Verkäufe gehen gegen null. Anders eben hier, unter der Hand, fernab der Industrie: Günter Schlienz, hauptberuflich Tontechniker an der Oper Stuttgart, vertreibt seine Musik über Kassetten, für 5 Euro das Stück.

Am Samstagabend spielte er ein kleines, transzendentales Set im Keller einer kleinen Galerie im Süden Neuköllns; die Luft war zum Schneiden, die Betreiber sprechen Spanisch. Die Sucked Orange Gallery befindet sich in einer Seitenstraße knapp vorm Tempelhofer Feld in einer Gegend kurz vor der Gentrifikation. Schlienz’ Instrument an diesem Abend ist ein kleiner Modulator, der freundlich vor sich hin blinkt, während schön bunte Kabel munter an ihm herumgesteckt werden; dazu gibt es Töne von einem alten Walkman – eingebaute Field Recordings, Landschaftsaufnahmen von Singvögeln. Schwingungen, Sounds, Loops, „ein reduziertes Set“, sagt der Künstler, „weil mehr Geräte konnte ich nicht mit in den Zug nehmen“.

Es sind formschöne Kassetten mit formschöner Musik, die ebenfalls gern das Reisen zum Thema haben. Es gibt „Sardinian Tapes“, „Dalmatian Tapes“ und, besonders toll, „Catalanian Tapes“. An diesem Abend öffnet sich für eine knappe halbe Stunde der Raum. Ein klaustrophobisch machender Keller, der sich in unendliche Klangweiten verliert. So muss es sein. RENÉ HAMANN