„Wollen Sie mit mir diskutieren?“

INTERVIEW STEFAN REINECKE
UND ULRIKE WINKELMANN

taz: Herr Struck, mit wem ist Regieren einfacher: mit den Grünen oder der Union?

Peter Struck: Mit der Union. Ich habe ein enges Verhältnis zu Volker Kauder, dem Fraktionschef der Union. Wir können uns aufeinander verlassen. Das war in der letzten Zeit der rot-grünen Koalition nicht der Fall.

Fürchten Sie nicht, dass die Union Sie an die Wand drückt, wenn sie den Schock, bei der Bundestagswahl nur 35 Prozent bekommen zu haben, überwunden hat?

Nein. Es ist völlig normal, dass die Union so kurz nach der Regierungsbildung ein Hoch hat. Bislang ging es ja vor allem um Außenpolitik. Nach den Landtagswahlen werden alle, auch die Kanzlerin, in den Niederungen der Innenpolitik sein. Dann wird Frau Merkel zum Beispiel auch für die Mehrwertsteuererhöhung haftbar gemacht werden. Und bei Gesundheit und Pflege werden wir einen Kompromiss bekommen, für den beide geradestehen müssen.

Bei der Gesundheitspolitik hat die SPD sich bereits ins Bein gehackt, indem sie die zuständige Ministerin Ulla Schmidt vom ersten Gespräch nächste Woche ausschließen lässt.

Die SPD hackt sich nie ins Bein. Ulla Schmidt hat einen Termin bei der Kanzlerin am Montag. Sie stimmt sich eng mit Partei- und Fraktionsspitze ab. Sie ist die entscheidende Person bei dieser Reform.

Bei kaum einem Thema wird der Abstand zwischen der Forderung der SPD – der Bürgerversicherung – und dem Ergebnis am Ende so groß sein wie bei der Gesundheit. Tut das nicht jetzt schon weh?

Das ist doch bei der Union genauso. Die wird ihre Kopfpauschale so wenig kriegen wie wir unsere Bürgerversicherung.

Die Bürgerversicherung hat als Gerechtigkeitsprojekt identitätsstiftenden Charakter für die SPD. Wie verkaufen Sie Ihrer Partei und den Bürgern einen Kompromiss?

Die Sozialdemokraten und die Wähler wissen, dass wir keine alleinige Mehrheit haben und uns deshalb nicht durchsetzen können. Entscheidend ist für uns, dass es bei dem Grundsatz bleibt, dass jeder die gesundheitliche Versorgung bekommt, die er braucht – unabhängig vom Einkommen und unabhängig vom Alter.

Wie viel Sozialdemokratie ist in der großen Koalition? In Frankreich gibt es massiven Protest gegen die zweijährige Probezeit für Jüngere. Die große Koalition will hier genau das einführen – für alle. Ist das sozialdemokratisch?

Die Union wollte ja – wie die Unternehmer – den Kündigungsschutz viel stärker reduzieren. Der Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss. Die Union will jetzt trotzdem mehr. Aber nicht mit uns. Entweder der Kündigungsschutz bleibt wie er ist, oder wir verwirklichen, was im Koalitionsvertrag steht.

Das bedeutet mehr Unsicherheit für viele Arbeitnehmer, die zwei Jahre lang fristlos vor die Tür gesetzt werden können.

Wie gesagt: Das ist der Kompromiss mit der Union. Übrigens einer, mit dem die Gewerkschaften leben können.

Die Gewerkschaften setzen sich derzeit von der SPD ab – auch wegen der Rente ab 67. DGB-Chef Sommer lobt Kanzlerin Merkel.

Nein. Michael Sommer war unser erster Gast in der SPD-Fraktion. Die Gewerkschaften sind dankbar, dass die Koalitionsvereinbarung eher sozial- als christdemokratische Züge trägt.

Manche Gewerkschaften nähern sich der Linkspartei an. Macht Ihnen das keine Sorge?

Nein.

Warum nicht?

Die PDS wird keine Zustimmung finden, weil sie keine realistischen Politikvorschläge macht.

Bei Banken und Versicherungen gibt es Rationalisierungswellen, im produzierenden Gewerbe werden Arbeitsplätze in Billiglohnländer exportiert. Die Konzerngewinne explodieren, die Börse boomt. Was sagen Sie als Sozialdemokrat dazu?

Ich halte es für unpatriotisch, wenn Unternehmer glänzende Bilanzen haben und tausende Leute entlassen.

Klingt hilflos …

Man muss an die Verantwortung der Unternehmer appellieren. Und es gibt ja auch Unternehmer, die sich patriotisch verhalten – im Mittelstand mehr als bei den Großunternehmen. Aber das ist nicht alles. Wir entlasten den Mittelstand weiter steuerlich. Wir haben das Investitionsprogramm von 25 Milliarden Euro.

Und das wird reichen?

Der Staat kann keine Arbeitsplätze schaffen. Er setzt Rahmenbedingungen. Mehr als das, was wir für den Mittelstand tun, ist finanziell nicht drin. Die Daten für das wirtschaftliche Wachstum sind nicht schlecht.

Sie setzen in der großen Koalition die Steuerpolitik von Rot-Grün fort: Entlastung der Unternehmen. Dabei ist die reale Abgabenquote in Deutschland längst unter dem EU-Durchschnitt. Ist das sozialdemokratische Politik?

Es wird eine Unternehmenssteuerreform geben. Wie die aussieht, ist noch nicht klar. Finanzminister Steinbrück will aber zu Recht, dass die Reform aufkommensneutral wird.

Aber auch viele Sozialdemokraten meinen, dass Rot-Grün die Steuern für Unternehmen und Vermögende zu stark gesenkt hat – und so die Handlungsfähigkeit des Staates beschränkt hat.

Ich weiß nicht, welche Sozialdemokraten Sie meinen. Die SPD hat der Agenda 2010 auf drei Parteitagen zugestimmt. Von den Steuersenkungen haben auch normale Steuerzahler profitiert. Wir haben den Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent gesenkt. Das war keine falsche Politik.

Und was ist mit der „Reichensteuer“, der Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 250.000-Euro-Jahresgehälter von 42 auf 45 Prozent?

Das kommt.

Warum hört man davon so wenig?

Da laufen die normalen Arbeiten. Das wird Teil des Haushaltes 2007 sein.

Im Moment wollen alle gebührenfreie Kindergärten. Sie auch?

Ich habe das schon vor sechs Wochen vorgeschlagen. Ich freue mich, dass Frau Merkel und Ministerin von der Leyen jetzt darauf gesprungen sind.

Wird von kostenlosen Kindergärten auch nach den Wahlen noch die Rede sein?

Ja. Sicher.

Und wie soll das finanziert werden? Über die Senkung des Kindergeldes, wie Peer Steinbrück zum Entsetzen vieler meint?

Sie wissen, dass es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kinderfreibetrag und zum Kindergeld gibt. Deshalb ist der politische Spielraum eng. Wir sollten aber darüber reden, ob wir statt weiterer Kindergelderhöhungen die Betreuung von Kindern fördern sollten. Zehn Euro Kindergelderhöhung kosten 1,2 Milliarden Euro. Das kann man doch für kostenfreie Kindergärten und Betreuungsplätze verwenden. Es muss jedenfalls möglich sein, von den 100 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr für Kinder und Familie ausgeben, einen kleinen Teil abzuzweigen.

Strittig ist auch der anstehende Kongo-Einsatz der Bundeswehr. Der Sprecher des rechten Seeheimer Kreises in Ihrer Fraktion, Johannes Kahrs, will den Widerstand dagegen organisieren.

Es ist das gute Recht eines Abgeordneten, sich im Vorfeld einer Entscheidung zu äußern. Ich sehe nicht, dass wir als Bundestagsfraktion dem Einsatz nicht zustimmen werden. Ich will aber noch genau wissen, wie der Auftrag der Bundeswehr ist und unter welchen Bedingungen er stattfindet. Danach werde ich meine Empfehlung an die Fraktion abgeben. Klar ist, dass das Mandat gemäß der Bitte der UN auf den Schutz der Wahlbeobachter beschränkt ist. Wir schicken keine Kampftruppen nach Kinshasa.

Und wenn die Lage eskaliert, sagen die EU-Soldaten zu den Wahlbeobachtern: Rein in die Hubschrauber, und bloß raus hier?

Wollen Sie mit mir diskutieren, oder machen wir ein Interview?

Manchmal vermischt sich das, oder?

Das mögen Sie so sehen.

Jetzt hat Ihr Kollege Volker Kauder angekündigt, bis zur Sommerpause gebe es ein Gesetz zum Einbürgerungstest. Geht das nicht ein bisschen schnell?

Wer die Einbürgerung wünscht, der muss sich gefallen lassen, dass nach seiner Einstellung zu unserer demokratischen Verfassung gefragt wird. Man kann von ihm auch erwarten, dass er Deutschkenntnisse hat. Kochs Fragebogen ist das falsche Instrument dafür. Ich bin bereit, mit dem Kollegen Kauder über eine bundeseinheitliche Regelung zur Einbürgerung zu reden. Denn es geht nur bundeseinheitlich, weil es weder eine hessische noch eine baden- württembergische Staatsangehörigkeit gibt, sondern nur eine deutsche. Aber es besteht keine Eile.