: Erste Wessis aus dem Osten
AUSSTELLUNG Sonderforschungsbereich zeigt Befunde zum Stand der deutschen Wiedervereinigung
■ ist Professor für Soziologie in Jena und Geschäftsführer des SFB 580 der Unis Jena und Halle.
taz: Herr Hofmann, wie steht es nach Ihren Forschungen um die deutsch-deutsche Vereinigung?
Michael Hofmann: Die ist in ihren Grundzügen erfolgreich: Wir leben in einem Land mit gleichen Institutionen und einer vergleichbaren demokratischen Entwicklung. Unterschiede gibt es in den Bereichen Kultur und Wertvorstellungen.
Die wären?
Ostdeutsche ordnen sich mehrheitlich der Arbeiter- und Unterschicht zu, Westdeutsche mehrheitlich der Mittelschicht. Der Blick auf die Welt ist in diesen Schichten jedoch sehr unterschiedlich.
Ist der Ausstellungstitel „Werden wir ein Volk“ da ein Appell?
Nein, das Fragezeichen dahinter ist wichtig. Es gibt nach wie vor Streitigkeiten, wie weit die soziale Angleichung gehen soll und welche regionalen Unterschiede akzeptabel sind. Aber das sind normale Streitfragen, wie es sie auch in anderen europäischen Staaten gibt, beispielsweise zwischen Nord- und Süditalien. Die Deutschen sind hier zur nationalen Normalität zurück gekehrt und werden nicht mehr zwischen den politischen Blöcken zerrieben.
Die Ausstellung beschreibt die Wiedervereinigung als Migrationsprozess, Ostdeutsche seien in die Bundesrepublik eingewandert, ohne den Wohnort zu wechseln. Wieso der Vergleich?
Bei der Bewältigung der Wende zeigen Ostdeutsche ähnliche Muster wie Migranten: Der Anpassungsdruck war auf die erste Generation sehr hoch. Für die zweite Generation, die damals 18-Jährigen, war die Situation wesentlich offener. Sie haben die DDR-Vergangenheit schnell abgelegt und fühlen sich als die „ersten Wessis aus dem Osten“. Die nun nachwachsende dritte Generation hat heute wieder größere Schwierigkeiten und beschäftigt sich stärker mit ihren biografischen Wurzeln in einem verschwundenen Land.
INTERVIEW: THA
Bis 23. 4., Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr, Bremische Bürgerschaft