: Hunger auf mehr
Die Torwartfrage ist international: Auch in der Équipe Tricolore streiten sich zwei Ballfänger um den Posten im Kasten. Fabien Barthez oder Grégory Coupet – das ist die Frage, die Frankreich bewegt
AUS PARIS RALF ITZEL
Ohne das bisschen Spucke hätte es die Debatte wohl nie gegeben. Fabien Barthez wäre nach wie vor die Nummer eins der französischen Auswahl, und Grégory Coupet der brave Vertreter, der er immer war. Normalerweise spuckt ein Torwart in die Hände, damit die Handschuhe griffiger werden. An jenem 12. Februar des vergangenen Jahres aber feuerte Barthez bei einem giftigen Freundschaftsspiel mit Olympique Marseille in Casablanca eine Portion Speichel Richtung Schiedsrichter ab. Anstatt Reue zu zeigen, sagte der Sünder: „Niemand ist verletzt oder tot, ich bedaure gar nichts. Wir sind schließlich Männer, die was zwischen den Beinen haben.“
Die Angelegenheit geriet zur Staatsaffäre, Frankreichs Sportminister intervenierte, und am Ende statuierte man ein Exempel: Barthez, 33, wurde für ein halbes Jahr gesperrt. In jener Zeit, der zweiten Hälfte der WM-Qualifikation, hielt der um 18 Monate jüngere Coupet (Olympique Lyon) für Frankreich, und zwar so gut, dass er sich kurz vor der Rückkehr des Rivalen in die Offensive traute: „Ich habe vom Kuchen genascht, und jetzt will ich ein ganzes Stück davon. Vorher gab es keine echte Konkurrenzsituation. Jetzt wage ich zu glauben, dass sie existiert.“
Nationalcoach Raymond Domenech erhörte ihn und schickt genauso wie Kollege Klinsmann die beiden Kandidaten abwechselnd zwischen die Stangen. Im November gegen die DFB-Elf (0:0) hielt Coupet, neulich gegen die Slowaken (1:2) Barthez. Zwischenzeitlich hatte Domenech den Tag der Entscheidung angekündigt. „Und der Sieger ist …“, titelte die Sportzeitung L’Équipe gespannt – ohne den Glücklichen zu präsentieren. Erst Ende Mai vorm Test gegen Mexiko will der Trainer sich festlegen. Bis dahin darf debattiert werden. Die Spezialblätter produzieren auf fachlich hohem Niveau Dossiers, vergleichen Stärken und Schwächen und lassen Experten zu Wort kommen. So spricht sich der frühere Kapitän Desailly für den erfahrenen Barthez aus („Barthez steht am Karriereende und verdient Anerkennung für das, was er geleistet hat“). Der ehemalige Nationalkeeper Bernhard Lama dagegen hält zum formstarken Coupet („Für mich derzeit der beste Torwart der Welt“). Die Kollegen aus Frankreichs erster Liga stimmten in einer Umfrage der L’Équipe zu 69 Prozent für den Lyoner, und exakt das gleiche Ergebnis ermittelte das Magazin France Football unter Fußballfreunden.
Auch die Publikumspresse widmet sich dem Thema, schließlich ist Barthez seit dem WM-Triumph 1998 eine echte Berühmtheit. Die tollen Paraden, die Küsse von Abwehrchef Blanc auf seinen Glatzkopf, das Lachen in dramatischen Momenten hievten ihn in den Rang einer Ikone, gerne wird er als „mythischer Torwart“, „fabelhafter Fab“ oder „der kahle Göttliche“ beschrieben. Und ein Kontrast zwischen dem abgedrehten Paradiesvogel Barthez und dem biederen Vorzeigesportler Coupet ist gar zu leicht zu konstruieren.
Die Protagonisten selbst verlieren kein böses Wort über den anderen und vermeiden Werbung in eigener Sache. „Ich schulde Fabien Respekt“, flötet Coupet, „schließlich ist er der Torwart, der Frankreich die WM-Trophäe brachte.“ Sogar von „einer gewissen Komplizenschaft“ weiß er zu berichten, die sich im Wartestand entwickelt habe. Barthez äußert sich seit jenem Februartag kaum noch öffentlich, und versucht, Taten sprechen zu lassen. Doch das gelingt Coupet, mit Lyon in die europäische Spitze aufgestiegen, weit besser. Während er und der Tabellenführer am heutigen Samstag in großer Form Toulouse empfangen, um dann in der Champions League den AC Mailand herauszufordern, fiel Barthez im mittelmäßigen Marseille-Team und der Nationalelf zuletzt durch Patzer auf; eine Wadenverletzung zwingt ihn derzeit sogar zum Zuschauen.
Irgendwie ist seit der Sache in Casablanca alles schief gelaufen für ihn. Das bisschen Speichel hätte er sich lieber gespart. Denn sollte sich Domenech für Coupet entscheiden, dürfte ihm die Spucke erst mal weg bleiben.