Was macht Luther da im Untergrund?

ARCHÄOLOGIE Überraschung bei den Ausgrabungen am „Großen Jüdenhof“. Führungen enden in Kürze

Sicher scheint nur: Das jüdische Viertel lag am Rande der Jüdenstraße

„Im Großen Berliner Jüdenhof lebten die Berliner Juden seit dem 13. Jahrhundert.“ So steht es in vielen Chroniken bis hin zum Standardwerk „Der große Jüdenhof“ – doch die Geschichte muss umgeschrieben werden: Die Fläche an der Grunerstraße ist wahrscheinlich der falsche Ort.

Dort leitet Anja Grothe die Grabung für das Denkmalamt und ist begeistert: „800 Jahre Stadtgeschichte sind hier übereinandergestapelt!“ Aber mit dem Entdecken ist es vorbei. Am heutigen Donnerstag gibt die Archäologin die letzte Führung vor Ende der Grabungszeit.

Unstrittig ist: Auf dem Gelände zwischen Altem Stadthaus und Rotem Rathaus befand sich bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg der „Große Jüdenhof“ – ein Ensemble von 12 Fachwerkhäusern. Seit 1945 diente das Gelände als Parkplatz, für die Archäologie ein Glücksfall, weil keine Aushubarbeiten die alten Fundamente zerstörten.

Doch wer nur bestehendes Wissen bestätigt haben möchte, sollte keine Ausgrabung durchführen. Was die Archäologen fanden, ist für die Berliner Stadtgeschichte sensationell: Der Hof in seiner baulichen Gestalt bis zur Zerstörung entstand erst im 18. Jahrhundert – aber da lebten an dieser Stelle längst keine Juden mehr. Ab 1720 wurden die Häuser eines nach dem anderen erbaut, erst dabei änderte sich die Grundstücksstruktur von den schmalen Parzellen zu einem Hof. Diese Entstehungsgeschichte war in Vergessenheit geraten.

Kein Hof im heutigen Sinn?

Unklar ist nun, ob an diesem Ort im Mittelalter Juden gelebt haben. Rechnungen des Berliner Rats aus dem frühen 16. Jahrhundert erwähnen einen „Jödenhof“ oder „Jödenhoff“, aber was dessen Lage angeht, scheint nur sicher, dass er von der Jüdenstraße abging. Vielleicht war auch nicht ein Hof im modernen Sinn gemeint, sondern eine Bebauung abseits der Straße oder eine größere Parzelle.

Auffällig an den Ausgrabungsergebnissen ist, dass sich im Hausmüll und Schutt von 800 Jahren keine Überreste finden, die auf jüdische Bewohner schließen lassen. Stattdessen tauchte eine Ofenkachel mit Martin-Luther-Bildnis aus dem 16. Jahrhundert auf und auf einem katholischen Pilgerzeichen die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind.

Schon damals brauchte die Stadt Berlin dringend Geld, im Jahr 1508 wurde die Synagoge an einen Musiker verkauft. Bei den Resten eines mittelalterlichen Steingebäudes, das durch Qualität und Größe auffällt, will Anja Grothe nicht ausschließen, dass es sich um diese ehemalige Synagoge handelt.

Wie auch immer – es waren schlimme Zeiten für die Berliner Juden: Im Jahr 1510 wurden sie beschuldigt, Hostien geschändet zu haben, ganze Familien wurden lebendig verbrannt, die anderen mussten aus Brandenburg fliehen. Belegt ist, dass die enteigneten und vertriebenen Juden nach ihrer Rückkehr die eigenen Häuser von der Stadt anmieten mussten. Wo genau diese standen, ist aber nicht bekannt.

FALKO HENNIG

■ Letzte Führungen Do, 29. 8., 17 Uhr & So, 8. 9. (Tag des offenen Denkmals), 10, 12 und 14 Uhr