Mittelständler ignorieren Spionagegefahr

UNTERNEHMEN Verfassungsschutzpräsident kritisiert Mangel an Schutz und fehlende Kooperation mit Behörden. Jährlicher Schaden der Wirtschaft durch Schnüffelei wird auf 50 Milliarden Euro geschätzt

BERLIN taz | Zumindest auf dem Papier ist das Problem erkannt: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat am Mittwoch mit den Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) eine Erklärung zum Schutz deutscher Firmen vor Unternehmensspionage und Wirtschaftskriminalität unterzeichnet. Wie groß dieses Problem ist, hatte Friedrich zuvor erstmals beziffert: Der jährliche Schaden liege bei geschätzt etwa 50 Milliarden Euro.

In der Praxis nehmen viele Unternehmen das Problem hingegen noch nicht ernst, warnte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „In der Wirtschaft gilt Sicherheit als Kostenfaktor und als unkomfortabel“, sagte er. „Vor allem Mittelständler sind sich des Risikos nicht bewusst.“ So verfügten weniger als die Hälfte der Unternehmen über ein Sicherheitskonzept.

Viele scheuten die Zusammenarbeit mit den Behörden. In weniger als 20 Prozent der Schadensfälle werden laut Maaßen Polizei oder Verfassungsschutz eingeschaltet. Um das zu ändern, forderte er eine Informationspflicht für die Unternehmen: „Wirtschaftsschutz darf keine Einbahnstraße sein.“

Meldepflicht abgelehnt

Eine solche Meldepflicht lehnen die Wirtschaftsverbände jedoch ab. Auch die Erklärung spricht sich darum nur für einen „freiwilligen, risikobasierten Informationsfluss“ aus. DIHK-Präsident Eric Schweitzer warnte bei der Wirtschaftsspionage sogar vor „aufgebauschter Skandalisierung“. Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA dürfe wegen der NSA-Affäre nicht verzögert werden.

Auch Maaßen nahm die USA und Großbritannien in Schutz. Es gebe keine Hinweise, dass die Geheimdienste dieser Länder deutsche Firmen ausspionierten. Dabei gehe der Verfassungsschutz jedem Verdacht nach: „Wir sind nicht blind, und wir sind auch nicht naiv“, betonte Maaßen. Die meisten Angriffe auf Firmen und Forschungslabors kämen aus China und Russland. Der Chef des Industrieverbandes BDI, Ulrich Grillo, nannte es dagegen „ganz besonders besorgniserregend“, in welchem Ausmaß Geheimdienste befreundeter Staaten den Datenverkehr überwachten. Grillo schlug vor, Wirtschaftsspionage im Völkerrecht zu ächten. MKR