Die Angst vor wachen Nächten

Bremen leuchtet Hannover 96 nach drei Toren von Noch-Joker Nelson Valdez mit 5:0 heim. Weil das Ergebnis nicht zum Spielverlauf passt, verordnet sich 96-Trainer Peter Neururer eine Nachtschicht

aus Bremen von Klaus Irler

Es gibt Dinge im Leben von Hannovers Trainer Peter Neururer, die halten ihn nachts wach. Nicht weil sie ihm so nahe gingen – dafür ist Neururer zu sehr Frohnatur. Aber wenn ihm etwas passiert, das er für „mehr als verrückt“ hält, dann will er einfach nur begreifen. Was ist da passiert am Samstagnachmittag im Bremer Weserstadion? Neururer konnte es „selber kaum erklären“. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Und sagte dabei erstaunlich gut gelaunt: „Ich werde mir das Spiel heute Nacht noch fünfmal anschauen.“

Auf die Fünf kam Neururer wahrscheinlich wegen des Ergebnisses: 5:0 endete die Partie zwischen Werder Bremen und Hannover 96. Für Werder war es nach zuletzt zwei Pflichtspielniederlagen und dem Ausscheiden in der Champions League ein enorm wichtiges Erfolgserlebnis im indirekten Wettstreit mit dem Hamburger SV und Schalke um den 2. Tabellenplatz. Für Hannover war es die höchste Pleite der Saison und ein Dämpfer im Kampf um einen UEFA-Cup-Platz. Und für beide Teams war es ein Spiel der Kuriositäten: 42 Minuten lang ist Hannover den Bremern überlegen, hat fünf klare Chancen, wo auf Bremer Seite nur eine zu Stande kommt, bekommt sieben Eckbälle, wo Werder keinen einzigen herausspielt. Elf Spielminuten später steht es plötzlich 4:0 für Bremen und Hannover ist geschlagen.

In den ersten 41 Minuten „waren praktisch nur unsere Trikots auf dem Feld. Das Team steckte nicht drin“, sagte Werders Sportdirektor Klaus Allofs, der den Sieg trotzdem „hochverdient“ fand. Werder startet unsicher in dieses Nordderby, leistet sich etliche Fehlpässe, ist nach vorn zu passiv und in der Abwehr wackelig. Hannover erarbeitet sich Chance um Chance, und Neururer hat recht, wenn er sagt: „Ein 3:0 für uns zur Halbzeit wäre normal gewesen.“ In der 42. Minute dann einer der wenigen Bremer Angriffe, Micoud passt auf Klose und ausgerechnet der von Bremen umworbene Per Mertesacker spitzelt den Ball unglücklich zu Nelson Valdez, der frei vor dem Tor nur noch einschieben muss. Ebenso zufällig das 2:0 in der 45. Minute: Micouds Schuss von der Strafraumgrenze wird von Mertesacker abgelenkt, Torwart Robert Enke ist ohne Chance. „Besseren Fußball als in der ersten Halbzeit können wir nicht spielen“, sagt Neururer. „Doch plötzlich stand es 2:0.“

Was auch Werder-Trainer Thomas Schaaf wunderte: „Du gehst 2:0 in Führung, und weißt gar nicht warum.“ Aber: „Die zwei Tore haben geholfen, dass wir zu einer Mannschaft gefunden haben, wie wir sie kennen.“ Innerhalb von zwei Minuten erhöhten Valdez (53.) und Klose (54.) nach der Pause auf 4:0. Die Partie war entschieden. Das 5:0 durch Valdez ist nur noch Formsache.

Wie es dazu kommen konnte, dass Hannover aus 42 Minuten deutlicher Überlegenheit nichts machen konnte? Da war zum einen Werder-Torhüter Tim Wiese, der hervorragend hielt – und davon so gute Laune bekam, dass er nach einer sicheren Parade auch gern mal mit den Kollegen schäkert, um dann den Ball dem Hannoveraner Thomas Brdaric vor die Füße zu werfen (65.). Andererseits war da die Abschlussschwäche der Offensivkräfte von Hannover 96 – ein psychologisches Problem, das Hannover schon länger beschäftigt. Und das Neururer aussitzen will: „Wenn wir jetzt was in der Struktur ändern würden, wäre das der größte Fehler überhaupt. Je mehr man über Ängste spricht, desto mehr laufe ich Gefahr, dass die sich potenzieren.“ Nicht dass seine Spieler am Ende auch nachts wach liegen.