: Pathologisch, nicht altruistisch
URTEIL Michael K., der im Februar seine 82-jährige Mutter mit einem Kissen erstickte, muss wegen Totschlags für sieben Jahre ins Gefängnis
Helmut Kellermann, Vorsitzender Richter
Mit „Erlösen“ habe seine Tat nichts zu tun gehabt, befand Helmut Kellermann, Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen – obwohl der 50-jährige Michael K. behauptet hatte, seine 82-jährige Mutter erlöst zu haben, als er sie im Februar mit einem Kopfkissen erstickte. Gestern wurde K. zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte acht gefordert, die Verteidigung eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Am ersten Verhandlungstag war nicht nur Prozessbeobachtern aufgefallen: K. wirkte ungewöhnlich distanziert, nahezu emotionslos, als er erzählte, wie er seine bettlägerige Mutter umbrachte. Sie habe sich nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht mehr richtig erholt, sei fast blind gewesen. Als „Altruismus“ bezeichnete er seine Tat – Kellermann urteilte hingegen: „Sie haben Ihre Tat rationalisiert und sich mit Ihren Erlösungsgedanken selbst in die Tasche gelogen.“
K.’s Mutter habe die OP und den Krankenhausaufenthalt recht gut überstanden, „sie wollte noch leben, sie hat nie gesagt, ich möchte erlöst werden.“ Auch K.’s Cousin und der behandelnde Arzt der Mutter hatten ausgesagt, sie sei in keiner schlechten Verfassung gewesen, und gejammert, das habe sie schon immer.
Nein, eine altruistische Tat sei das nicht gewesen, so der Richter. Dagegen spräche auch, dass K. sie nicht geplant habe. Vielmehr sei hier einiges zusammengekommen: der Frust über sein eigenes Leben – K. ist seit Jahren arbeitslos – die Überforderung mit der Pflege der Mutter und die feste Überzeugung K.’s, dass sich niemand sonst um sie kümmern könne. Nicht zuletzt sei sein Blutalkoholwert von rund drei Promille zum Tatzeitpunkt hinzugekommen. „Ihr anschließender Suizidversuch und Ihr unter Tränen getätigter Anruf bei der Polizei war alles andere als Siegesgeheul über die erfolgreiche Erlösung Ihrer Mutter“, sagte Kellermann.
K.’s späteres „Rationalisieren“ und seine Unfähigkeit zum Trauern seien Bestandteile einer gutachterlich bestätigten schizoiden Persönlichkeitsstörung: „Die hat pathologischen Charakter, wirkt aber nicht Schuld mindernd, weil Sie nicht in einem dramatischen Umfang betroffen sind.“
Einen Mord habe er nicht begangen, weil weder Heimtücke noch niedrige Beweggründe vorgelegen hätten, einen minderschweren Totschlag jedoch auch nicht, „denn Ihre Mutter hat Sie nicht darum gebeten, getötet zu werden“. Wegen des hohen Alkoholpegels läge allerdings eine verminderte Schuldfähigkeit vor, deswegen habe sich das Gericht für eine Haftstrafe von sieben Jahren entschieden – möglich gewesen wären bis zu elf Jahren und drei Monaten. „Vielleicht“, so Kellermanns abschließender Rat, „denken Sie während Ihrer Haft darüber nach, Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
SIMONE SCHNASE