: Die neue Atomwaffen-Doktrin
ABRÜSTUNG Obama verändert die Sicherheitspolitik der USA – in mühsamen, kleinen Schritten. Es ist ein Signal an die anderen Atommächte
BARACK OBAMA AM 4. APRIL 2009
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
US-Präsident Barack Obama wird morgen mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedjew in Prag ein neues Abkommen zur Reduzierung strategischer Atomwaffen unterzeichnen. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt, zu der sich Obama als erster US-Präsident der Geschichte vor genau einem Jahr ebenfalls in Prag bekannt hatte.
Dieser erste Schritt dauerte länger, als sich Obama das damals vorgestellt hatte. Und die Ratifizierung des neuen Vertrages ist zumindest im US-Senat keineswegs gesichert. Zumal der russische Außenminister Sergei Lawrow aus dem Vertragstext gestern erneut das „Recht“ Moskaus zum Ausstieg ableitete, sollten die USA ihr Raketenabwehrprojekt in Bulgarien umsetzen.
Mit der gestern veröffentlichten neuen Atomwaffendoktrin will Obama der Welt dennoch signalisieren, dass „der atomare Abrüstungsprozess weitergeht“ und die USA nicht nur die Zahl ihrer atomaren Massenvernichtungsmittel verringern, sondern auch die Rolle der Atomwaffen in ihrer Sicherheitspolitik herabstufen wollen.
Hauptadressaten von Obamas Signal sind die Regierungen Irans, Nordkoreas und anderer Staaten, die – tatsächlich oder vermeintlich – die Entwicklung eigener Atomwaffen anstreben oder gar waffenfähiges Spaltmaterial an Terroristen weitergeben. Obamas Vorgänger George W. Bush drohte diesen Staaten in seiner ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 veröffentlichten US-Sicherheitsdoktrin ausdrücklich mit „präventiven“ Militärschlägen – notfalls mit atomaren Waffen. Obama geht den umgekehrten Weg.
Hauptrolle der amerikanischen Atomwaffen soll künftig die Abschreckung atomarer Angriffe auf die USA sein. Der Präsident wollte die Rolle der Atomwaffen ursprünglich sogar ausschließlich auf diese Aufgabe beschränken, konnte sich damit aber gegenüber dem Pentagon nicht durchsetzen. Damit verzichten die USA erstmals ausdrücklich auf den Einsatz von Atomwaffen für den Fall, dass sie mit konventionellen, chemischen oder biologischen Waffen angegriffen werden. Diese „negativen Sicherheitsgarantien“ gelten allerdings nur „gegenüber Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert haben und sich an ihre vertraglichen Verpflichtungen halten“.
Mit dieser Einschränkung sind Iran, Nordkorea und alle anderen aktuellen oder für die mittelfristige Zukunft befürchteten Möchtegern-Atomwaffenstaaten (etwa Ägypten und Syrien) von den atomaren Nichtangriffsgarantien ausgenommen. Die USA behalten in der Substanz gegenüber diesen Staaten auch künftig alle bisherigen militärischen Optionen. Daher ist die große Frage, ob Obamas positives Signal bei den Regierungen dieser Staaten ankommt und die von ihm erhoffte Wirkung einer veränderten Politik haben wird.
Das gilt auch für den angekündigten Verzicht auf die Entwicklung neuer atomarer Waffensysteme. Das ist zwar grundsätzlich ein wichtiger Schritt. Doch das einzige von diesem Verzicht betroffene konkrete Projekt ist die unter Präsident Bush in Auftrag gegebene Entwicklung sogenannter Mini-Nukes. Diese vom Pentagon einst als neue „Wunderwaffe“ gegen „Schurkenstaaten“ gepriesenen Mini-Nukes sollten mit einer Sprengkraft von maximal einer Kilotonne in der Lage sein, unterirdische Bunker ohne Freisetzung nuklearer Strahlung zu zerstören. Da bei der bisherigen Entwicklung große technische Probleme auftraten, war die Einstellung dieses Projekts ohnehin schon längst beschlossene Sache.
Ob das mit der neuen Atomwaffendoktrin beabsichtigte positive Signal wirkt, könnte sich bereits kommende Woche zeigen, wenn sich auf Einladung Obamas in Washington die 44 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags treffen, die derzeit die nukleare Technologie nutzen. Obama will bei der Konferenz „konkrete und verbindliche“ Vereinbarungen erreichen, um die Verbreitung von atomwaffenfähigem Spaltmaterial und Atomtechnologie zu unterbinden. Washington erhofft sich davon positive Wirkung für die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai in New York.
Diese Konferenz ist nach wie vor vom Scheitern bedroht, weil die große Mehrheit der 181 Nichtatomwaffenländer unter den Vertragsstaaten die Abrüstungsbemühungen der USA und der anderen vier offiziellen Atomwaffenmächte Russland, China, Frankreich und Großbritannien für unzureichend halten. Mit Blick auf diese Kritik hatte Obama bei seiner Prager Rede vor einem Jahr noch angekündigt, die USA würden bis zu der Überprüfungskonferenz endlich das atomare Teststoppabkommen ratifizieren. Davon ist inzwischen auch bei Obama keine Rede mehr. Denn die republikanische Opposition im US-Senat verweigert dem Präsidenten die erforderlichen 8 Stimmen zur Ratifizierung des Abkommens.