: Sachsens CDU liebt plötzlich Ausländer
INTEGRATION Der drohende Fachkräftemangel sorgt für einen überraschenden Schwenk der Landesregierung. Die CDU gibt sich weltoffen und setzt sich beim Bund für Lockerungen im Zuwanderungsgesetz ein
DRESDEN taz | Die seit einem halben Jahr regierende schwarz-gelbe Koalition in Sachsen setzt überraschende Akzente in der Ausländerpolitik.
Eine Initiative des Ausländerbeauftragten der Landesregierung, Martin Gillo, ließ Ende März aufhorchen. Er formulierte „Sieben Anregungen für ein weltoffeneres Sachsen“, darin sind neben Zuwanderungsbemühungen auch bislang linke Forderungen enthalten – wie dezentrale Unterbringung, Lockerung der Residenzpflicht und Bargeld- statt Sachleistungen für Asylbewerber. Nun bemüht sich auch das Sächsische Innenministerium, über den Bundesrat oder das Bundesinnenministerium Erleichterungen im Zuwanderungsgesetz zu erreichen.
Namentlich die sächsische Union forcierte traditionell eher Patriotismus- als Zuwanderungsdebatten. Von welchem Geist CDU-Politik geprägt war, illustrierte eine Veranstaltung der Adenauer-Stiftung Ende Februar. Hier wurde diskutiert, als drohe in Sachsen mit einem Ausländeranteil von knapp über 2 Prozent in jedem Dorf ein Minarett.
Der Sinneswandel seit vorigem Herbst hat jedoch greifbare pragmatische Gründe. Der Bevölkerungsschwund und der spätestens in vier Jahren dramatisch spürbar werdende Fachkräftemangel zwingen zum Umdenken. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, formulierte bereits die Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP und sprach zugleich vom „wohlverstandenen Interesse des Landes“.
„Daher werben wir um Menschen mit Qualifikation, Bildung und Integrationswillen“, verkündet nun Innenminister Markus Ulbig (CDU). Die „neue Willkommenskultur“, die er per Leitbild den Ausländerbehörden verordnen will, erscheint da ebenso wie die Integrationsbemühungen des Ausländerbeauftragten als Kollateralnutzen. Im Sozialministerium wird an einem Integrationskonzept gearbeitet.
Um mehr Fachkräfte zu binden, reichen jedoch neue Ermessensspielräume der Behörden oder bessere Beratung auf Landesebene nicht aus. Änderungen im Zuwanderungsgesetz auf Bundesebene müssten her, deshalb Sachsens Initiative beim Bundesinnenministerium.
Aus dem Sächsischen Innenministerium ist zu erfahren, dass eine Senkung der Hürden in den Paragrafen 16 und 19 angestrebt wird. Ausländische Studenten dürfen bisher nach ihrem Studium ein Jahr lang nach einer Arbeit suchen, aber nur 90 Tage arbeiten. Die absurde Regelung behindert auch die Finanzierung ihres Studiums, für das sie kein Bafög erhalten. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ist für erwerbstätige Ausländer laut Bundesgesetz bisher an den utopischen Mindestverdienst von 65.000 Euro brutto im Jahr gekoppelt. Weitere Hürden vor dem erwünschten Zuzug bilden die geforderten Sprachkurse.
In den anderen ostdeutschen Ländern gibt es vergleichbare demografische Probleme. Im Brandenburger Innenministerium bedauert man die geringe Zahl von nur 450 Einbürgerungen im Jahr. Auch Niedersachsen soll Zuwanderungserleichterungen positiv gegenüberstehen.
Die Vernetzung für eine mögliche Bundesratsinitiative steht ebenso erst am Anfang wie Sondierungen auf Arbeitsebene mit dem Bundesinnenministerium. Man fühle sich noch als Exot, sagt ein Mitarbeiter des sächsischen Innenministeriums, aber die Bestrebungen seien „nicht aussichtslos“. MICHAEL BARTSCH