: Die Schland-Beschwörer
PATRIOTEN Der Bundestag wiederholt das TV-Duell und die SPD ist wegen eines noch ungesendeten Merkel-Interviews beleidigt
VON ULRIKE WINKELMANN
BERLIN taz | Mit jedem Tag wird die patriotische Note im Wahlkampf stärker. Sie ist, wie fast immer in Deutschland, ökonomischer Art: Wer Deutschlands Wirtschaftskraft bezweifelt, hat verloren.
Die Energiewende sei eine große Aufgabe, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Bundestagsdebatte zur „Situation in Deutschland“ im Bundestag. „Aber die Welt ist der Überzeugung, wenn es ein Land schaffen kann, dann Deutschland.“ Es folgten die bekannten Ausführungen zu den „vier guten Jahren für Deutschland“ dank Schwarz-Gelb seit 2009.
SPD-Kanzler-Kandidat Peer Steinbrück mochte den Vorwurf der Schwarzmalerei nicht auf sich sitzen lassen. Er sagte: „Deutschland wird unter Wert regiert.“ Merkel hielt er vor: „Sie malen unser Land in schönen Farben“, und in der Tat sei Deutschland ein „starkes Land mit starker industrieller Basis“ und vielen anderen Vorzügen. Nur sei dies eben das Werk von Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD).
Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt wählte die pädagogisch-aufmunternde Variation der Stärkebeschwörung: Nötig sei „mehr Bildungsgerechtigkeit in einem Land, das es sich definitiv leisten kann“, rief sie. Und später: „Deutschland könnte so gut dastehen bei der Energiewende“ – wenn die Merkel-Regierung nicht die Wind- und Sonnenstromproduktion ausgebremst hätte.
Wer die Auftritte der SpitzenkandidatInnen im Fernsehen am Sonntag und Montag verpasst hatte, bekam am Dienstagvormittag die Gelegenheit, teils vertiefte Versionen ihrer Wahlkampfschlager zu hören. Es war die letzte Bundestagssitzung vor der Wahl – für viele im Saal wahrscheinlich der letzte Aufenthalt in Fraktionsformation auf den blauen Stühlen. Bundestagspräsident Norbert Lammert beging den beglückwünschenden und gruppendynamischen Anfangsteil der Sitzung entsprechend launig. Zwecks weiterer Geburtstagsbeklatschung „können sich auch noch weitere Personen melden. Das alles wird dann nach Prüfung der Aktenlage brav vorgetragen“, sagte er.
Steinbrück, sichtlich beflügelt von der frisch gemessenen Zustimmung, hielt Merkel erneut ihre Einlullstrategie vor: „Sie haben unser Land mit einer Sprache des Ungefähren und der Unschärfe überzogen“, sagte er, sprach von „rhetorischen Beruhigungstabletten“ und „politischer Unterzuckerung“.
Zwischen die notwendigen Steuererhöhungen für wenige und einer Runde Schelte für Horst Seehofer klemmte Steinbrück aber auch noch das Bekenntnis, dass nicht etwa seit 2009, sondern seit Ende der 90er Jahre, sprich seit Antritt der rot-grünen Bundesregierung neuer Wohlstand vor allem in eine Richtung fließt. „Umverteilung gibt es seit 15 Jahren von unten nach oben – das sagt Ihnen das Statistische Bundesamt“, rief er.
Verwirrenderweise betonte Steinbrück wie bereits im „Duell“ entrüstet, die Kanzlerin habe der SPD in einem noch gar nicht gesendeten Fernsehinterview europapolitische Unzuverlässigkeit vorgeworfen. Dies sei „weit mehr als eine Verirrung in diesem Wahlkampf“, sagte Steinbrück. „Sie müssen wissen, dass Sie damit Brücken zerstören“, sagte er direkt zu Merkel.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach sogar von einer „Sauerei“ der Kanzlerin. Statt dankbar für die Euro-Unterstützung der SPD zu sein, „schmeißen Sie mit Dreck nach denen, die zu Europa gestanden haben, als Ihre Leute schon fluchtartig den Platz verlassen haben“.
Öffentliches Gekränktsein über noch zu sendende Fernsehzitate – vielleicht eine Spielart des Versuchs, Zustimmung zu Merkels Eurorettung mit Kritik an Merkels Eurorettung auch seelisch zu verarbeiten.