: Alle werden Futter
MIT BISS „Heuschrecken“ von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) im HAU 3, ein informativer und poetischer Abend endet in der Langen Nacht des Theaters
Was ist wohl besser für eine afrikanische Wanderheuschrecke? Aus einer berlin-brandenburgischen Zoohandlung gleich als Futter für Krokodile verkauft zu werden? Oder zehn Tage lang von einem Forscher- und Theaterteam dem Scheinwerferlicht ausgesetzt zu werden? Einer Heuschrecke, so viel weiß man nach dem Besuch der Performance „Heuschrecken“ von Stefan Kaegie/ Rimini-Protokoll im HAU 3 mit Sicherheit, stellt sich diese Frage nicht. Zum Glück, denken wir.
Dass das, was wir so über die in Schwärmen auftretenden Insekten denken, nicht allzu viel mit ihren realen Lebensbedingungen zu tun hat, ahnt man schon bald in diesem theatralischen Laborversuch. 6.500 Heuschrecken wohnen da unter einer Plastikhaube, die sich 16 x 4 Meter weit erstreckt, beobachtet von 99 Zuschauern. Die Zahlen werden exakt angegeben von Barbara Burtscher, einer jungen Schweizer Astrophysikerin. Sie überwacht die Daten, zusammen Jörg Samietz, im realen Leben Kartoffelschädlingen auf der Spur. Heuschrecken sind seine Leidenschaft, schon von Kindesbeinen an. „Ihr lernt fast nichts, das macht euch so robust und widerstandsfähig“, sagt er zu den Tierchen.
Denn wie so oft bei den Projekten der Gruppe Rimini-Protokoll lebt auch diese Inszenierung von den Experten, die eben nicht nur ihr Wissen, sondern auch ihre biografischen Wege einbringen. Dazu gehört der somalische Lebensmittelchemiker Zakaria Farah, der als Kind erlebt hat, wie ein Heuschreckenschwarm ein Dorf ruinierte. Mit einem Stipendium kam er in die Schweiz, erinnert sich mit Schrecken der vielen Käsefondues in seinem Leben und wurde später zu einem Fachmann für die Haltbarmachung frischer Lebensmittel in tropischen Ländern. Deswegen hat er zeitweise in Kuwait und Mexiko gearbeitet; die unausgesprochene Verbindung zwischen ihm und den Heuschrecken ist, dass die Wanderbewegungen von Nahrungsmittelkrisen angeregt wurden. Die ausgesprochene Verbindung dagegen ist viel poetischer: Nach seinen Reisen ist die sandige Wüstenlandschaft im Terrarium geformt, ein Parcours der Erinnerung.
Auch für die Astrophysikerin Burtscher ist die Wüste ein besonderer Ort, den sie mit ihrem Training für ein Leben auf dem Mars verbindet. Tatsächlich betritt sie die Laborlandschaft nur im Raumanzug, ganz geheuer sind ihr die Tiere nicht. Einige Daten, die sie liefert, lassen die baldige Unbewohnbarkeit der Erde recht wahrscheinlich aussehen. Zumindest für Menschen, Heuschrecken sind dann wahrscheinlich immer noch da.
Kameras vergrößern Szenen aus dem Terrarium. Die Heuschrecken, zwei Populationen der Arten Locusta migratoria und Schistocerca gregaria, führen mühelos alle arttypischen Verhaltensweisen vor: das Drängeln auf den heißesten Plätzen, obwohl es ihre Lebenszeit verkürzt; die Paarung und auch das Anknabbern von Artgenossen. Als ihr Futter allerdings an Stellen ausgelegt wird, die als Rohstoff-Ressourcen markiert sind, wie Gold oder Koltan, verhalten sie sich in keinster Weise wie Hedgefonds-Manager. Mehr fressen, als da ist, können sie nämlich nie.
Ihrem Schicksal als Futter für Reptilien werden die Insekten übrigens nicht entgehen: Am Samstag, in der Langen Nacht des Theaters in Berlin, werden sie ihre letzte Vorstellung geben und dann, um zwei Grad runtergekühlt und bewegungsärmer, doch noch in den Tierpark Friedrichsfelde gebracht werden.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ Letzte Vorstellung: 10. April im HAU 3, Teil der Langen Nacht der Opern und Theater, 19–1 Uhr.