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Archiv-Artikel

Wenn Elefanten fliegen lernen

SÜDSUDAN Im einstigen Bürgerkriegsgebiet verzweifeln die Menschen an der Wahlprozedur – und freuen sich auf die Unabhängigkeit

Warum müssen wir Positionen im Norden wählen? Nächstes Jahr werden wir uns sowieso von Khartum lösen“

JACKY YANG, SÜDSUDANESIN

AUS JUBA ILONA EVELEENS

„Es ist die Mutter aller schwierigen Wahlen“, meint Henry Sanya. „Ich habe Aufklärungssendungen im Radio gehört, ich war bei Versammlungen, auf denen gezeigt wurde, wie man wählt, aber noch immer ist mir nicht alles klar.“ Der Bankangestellte in Juba, der Hauptstadt des autonomen Südsudan, ist ein kluger Mann. Er ist sicher nicht der einzige Südsudanese, der Probleme hat mit der Wahlprozedur.

Ab Sonntag stimmen die Sudanesen gleich mehrmals ab – über den Staatspräsidenten, die Provinzgouverneure, über die Parlamente der Bundesstaaten und das Parlament, in dem ein Viertel der Sitze für Frauen reserviert ist. Im Süden wird zudem der Präsident der Autonomieregion gewählt.

Wenn sich Henry Sanya abends mit Freunden zum Bier trifft, reden sie immer über diese Wahl, die erste im Sudan seit einem Vierteljahrhundert. „Glücklicherweise kann ich lesen“, bemerkt der Bankangestellte. „Analphabeten müssen ihre Wahl an den Parteisymbolen festmachen. Das ist doch unmöglich, wenn im ganzen Land 79 Parteien mitmachen.“ Seine kleine Stammkneipe besteht aus nicht mehr als ein paar Stühlen unter dem Sternenhimmel, neben einem Kühlschrank. Im mehrheitlich christlichen und animistischen Süden können 76 Prozent der Bevölkerung nicht lesen und schreiben; im eher muslimischen Norden sind es 35 Prozent.

Die Verwirrung ist komplett, seit Südsudans Regierungspartei SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung), die ehemalige Guerillaarmee des Südens, ihren Kandidaten für die nationale Präsidentschaftswahl zurückzog und in den meisten nördlichen Bundesstaaten die Wahlen boykottiert. Aber im Süden tritt sie weiter an.

In Juba sind diese politischen Fragen zunächst weit weg. Die meisten Straßen sind noch nicht asphaltiert, aber es herrscht Dauerstau wegen der vielen Geländefahrzeuge von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen. Wer es eilig hat, benutzt lieber Motorradtaxis. Gideon Kongur verdient damit sein Geld. Wenn er keine Passagiere hat, sitzt er am Kreisverkehr und redet mit seinen Kollegen. „Wir glauben, dass die SPLM gespalten ist“, analysiert er die Lage vor der Wahl. „Die Parteiführung im Norden will anders als wir keine Volksabstimmung und Abspaltung des Südens. Sie haben Angst, dann ihre Position zu verlieren. Ich dachte immer, dass wir erst miteinander anfangen zu streiten, wenn wir unabhängig sind.“

Gideon Kongur kennt sich gut aus in der Boomstadt Juba. Mit hoher Geschwindigkeit rast er zum Gebäude der südsudanesischen Wahlkommission. „Dort möchte ich jetzt nicht arbeiten“, ruft er und braust davon.

Jersa Kide, ein Mitglied der Wahlkommission, sieht erschöpft aus. „Der Rückzug von Kandidaten und die Boykotte kamen zu spät“, seufzt sie. „Die Wahlzettel sind gedruckt, und Wähler können ankreuzen, wen sie wollen. Und wir werden die Stimmen zählen, egal ob eine Partei mitmacht oder nicht.“ Sie schwitzt, obwohl die Klimaanlage in ihrem Büro auf Hochtouren läuft. „Ich wusste, dass es kein leichter Job sein würde, im Sudan Wahlen zu organisieren. Aber so kompliziert hatte ich es mir nicht vorgestellt.“

Es gibt immer wieder Aufrufe, die Wahlen zu verschieben. Aber das, da ist man sich in Juba einig, geht nicht. Im Süden kann die Regensaison jeden Moment anfangen, und dann werden große Gebiete für Monate unzugänglich.

Der Hitzestau vor der Regenzeit lähmt das Leben in Juba. Erst wenn die Sonne untergeht, sinkt die Temperatur ein wenig. Jacky Yang, Sekretärin eines Hilfswerks, sitzt vor ihrem Haus, trinkt Mangosaft und redet mit einer Freundin. Auch sie versteht die Wahlen immer weniger, je näher sie rücken. „Ich verstehe nicht, warum wir für Positionen im Norden wählen müssen. Mit dem Referendum im nächsten Jahr werden wir uns sowieso von Khartum lösen und unseren eigenen Weg gehen.“

Die Wahlen sind ein Albtraum, da scheinen sich alle einig zu sein. „Wahlen in Sudan, das ist, wie einen Elefanten das Fliegen lehren“, erklärt John Akec, Professor an der Universität von Juba. Die Politiker im Südsudan seien ehemalige Rebellen, sie hätten keine Erfahrung mit Demokratie und Zivilpolitik. Im Norden sei es kaum anders. Da würden die Politiker nur die Diktatur kennen.