ANTENNEN-LYRIK : Prokrastinieren
Der stylemäßige Stützpfeiler Berlins ist wieder so weit. Endlich bringen Morgen und Vorabende genügend Licht. Die Sonnenbrille kann unbemüht nun wie gehabt da getragen werden, wo Kaffee an Tischen auf Gehwegen getrunken wird. Bei wolkenfreiem Himmel sind dort immer ins Freie verlagerte Heimarbeitsplätze zu finden. Und während dann Unentschiedenheit herrscht, ob beim Nach-vorbeigehenden-Leuten-Gucken oder In-sozialen-Netzwerken-Blättern herumprokrastiniert werden soll, muss immer an eines gedacht werden: die funktionierende WLAN-Verbindung. Bietet das Café keinen eigenen Netzzugang, ist in der Liste der empfangbaren Hotspots im besten Fall einer von Freifunk. Die Suche danach, zwischen den anderen WLAN-Namen, ist unterhaltsam. Es lassen sich drei Namenstypen unterscheiden. Es gibt kühle, automatische Kennungen wie „WLAN-D8EF26“, deren Modifizierungen und freie Auseinandersetzungen mit dem Thema.
In der Oranienstraße, vor meinem Stammladen für Gebäck, taucht in der Liste als erstes „Fenerbahce“ auf, dann „zeitraeuber“. Eine gute Mahnung. Später zu Crema Catalana in der Auguststraße erinnert „Hol Dir den Code am Tresen“, dass man in Mitte abgeklärter ist. Auch wenn „kikinyc“ kurz Bilder von punkigen New Yorker Rollerball-Girls weckt. Wow. In der Weserstraße empfinde ich große Freude über „Kabel Dlink digger“, Namenstyp 2, und den Erwartungen weckenden „Instant Zen“. Doch ohne Passwort keine Spiritualität, schade. Wieder zu Hause in Nord-Friedrichshain, wartet der Forckenbeckplatz zum Tagesausklang mit einem Überangebot auf. Verständlich, dass „rotfront“ dabei ist. Nicht beruhigend wirkt im Kontext „operation weberknecht“, und in Neukölln wäre „alkaida“ noch lustiger gewesen. Die größten Sympathien aber verdient „Who the fuck is alice“. Bitte, Leute, mehr solcher Botschaften! NIELS MÜNZBERG