: Fürsorgeempfänger und Volksgenossen
RECHTE SOZIALPOLITIK Ein Sammelband untersucht die völkische Kapitalismuskritik als zentralen Punkt rechter Ideologie
VON VOLKER WEISS
Die soziale Frage zählt zweifellos zu den wichtigsten der Moderne. Auch rechte Ideologie kommt nicht ohne sozialpolitische Vorstellungen aus, Volk und Nation dienen hier auch als Solidargemeinschaft: „Sozial geht nur national“, formuliert die NPD. In krisenhaften Zeiten sollten sozialpolitische Vorstellungen am rechten Rand daher die Aufmerksamkeit finden, die ihnen Richard Gebhardt und Dominik Clemens mit ihrem Sammelband „Volksgemeinschaft statt Kapitalismus“ entgegenbringen.
Leider reproduziert gleich der einleitende Beitrag des VVN-Funktionärs Kurt Heilers über „linke Leute von rechts“ nur den Kanon der DDR-Forschung. Das ist ärgerlich, zeugt es doch vom klassischen Dilemma, in den sozialpolitischen Vorstellungen der Rechten nur „verschleiernde Motive“ zu sehen. Über die Einschätzung, diese dienten einzig den Kapitalinteressen und sollten die Arbeiter vom Klassenkampf abhalten, sollte die Diskussion längst hinweg sein.
Auch das Plädoyer Sabine Hüthers sieht das Problem alleine im neoliberalen Kurs von Politik und Wirtschaft. Zwar räumt die Gewerkschaftssekretärin ein, dass die hohe Anfälligkeit für rechtsextreme Einstellungen auch unter Gewerkschaftsmitgliedern Teil des Problems ist, verliert sich aber in verbandspolitischen Phrasen.
Dem systematischen Zeichentransfer der Neonazis von links nach rechts muss aber mehr entgegenzusetzen sein als der Hinweis, Sozialpolitik sei traditionell linkes Terrain. Denn tatsächlich fördert auch der Faschismus durch materielle Zuwendungen die Loyalität seiner Parteigänger. Max Horkheimer schätzte schon zur Zeit des Nationalsozialismus den Weg vom Fürsorgeempfänger zum Volksgenossen als kurz ein.
Kein Trick
Die wissenschaftlichen Beiträge werden dieser Perspektive deutlich mehr gerecht als die der Funktionsträger. So bringt beispielsweise Regina Wampers Analyse des zeitgenössischen Globalisierungsdiskurses in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme präzise auf den Punkt, dass völkischer Antikapitalismus keinesfalls nur ein „Trick“, sondern „historisch wie aktuell zentral für jede extrem rechte Ideologiebildung“ ist. Auch Dominik Clemens’ Ausführungen zur Sozialstruktur von Mitgliedern und Wählern der NPD zeigt, dass soziale Themen für die Partei an Bedeutung gewonnen haben.
Da liegt es nahe, auch die rechte Anschlussfähigkeit gewerkschaftlicher Standortpolitik kritisch zu hinterfragen, was im Beitrag von Marcus Meier ausführlich geschieht. Scharf geht er mit der allein auf die „Finanzsphäre“ gemünzten Heuschrecken- und Blutsauger-Metaphorik ins Gericht. Solange der wirtschaftliche Prozess nicht in seiner Gesamtheit aus konkreter Arbeit und abstrakter Zirkulation begriffen werde, stünden die Einfallstore für nationale Sündenbockrhetorik weit offen. Ohnehin stellen fast alle Beiträge fest, dass mit dem „sozialen“ Gebaren der Neonazis auch ihr Antisemitismus an agitatorischer Kraft gewonnen hat.
Letztendlich stehen sich auf Seiten der Rechten zwei wirtschaftspolitische Konzepte gegenüber, die auf den ersten Blick nur schwer miteinander vereinbar scheinen: der staatszentrierte protektionistische Ansatz und das neoliberale Konzept einer vollkommen deregulierten Wirtschaft. Ihre Schnittmengen liegen im Abbau der Arbeitnehmerrechte, die im ersten Fall an den autoritären Staat „delegiert“ und im zweiten Fall der Konkurrenzfähigkeit geopfert werden. Christina Kaindl sieht in den neoliberalen Subjektstrategien einen „Resonanzraum“ für rechten Antikapitalismus. Die Abwehr gegen die Zumutungen des deregulierten Arbeitsmarktes, der auf Selbstmotivation setzt, wendet sich Kaindl zufolge gegen jede Selbstbestimmung überhaupt.
Welche Formen diese „antikapitalistische“ Tendenz angenommen hat, lässt Michael Klarmanns Essay über die „Autonomen Nationalisten“ entnehmen. Richard Gebhardts Zusammenfassung der Frage, was völkischer Antikapitalismus sei, liefert schließlich die überzeugenden Zitate, warum die NPD bei aller sozialen Rhetorik letztlich unternehmerfreundlich agiert, vermeidet aber den plumpen Vorwurf einer Identität beider. Denn zumindest idealtypisch ist das Kapital gegenüber der Arbeitskraft vorurteilsfrei, während die Rechte auf weitere Ressentiments zur Schaffung einer „Volksgemeinschaft“ angewiesen ist.
Dazwischen jedoch ist viel Spielraum für Kompromisse in Form gemeinsamer aggressiver Expansion oder Attacken gegen kulturelle Liberalisierung. Die Notwendigkeit für eine Beschäftigung mit den sozialpolitischen Vorstellungen der Rechten ist nicht zu leugnen. Diese lässt sich, wie der Band zeigt, nicht allein mit Kostümen aus dem Fundus der Arbeiterbewegung bewerkstelligen, doch bleiben Kategorien marxistischer Kritik unverzichtbar. Den Herausgebern ist zu wünschen, dass die Diskussion fortgesetzt wird.
■ Richard Gebhardt, Dominik Clemens (Hg.): „Volksgemeinschaft statt Kapitalismus. Zur sozialen Demagogie der Neonazis“. PappyRossa, Köln 2009. 187 Seiten, 12,90 Euro