SO IST FUSSBALL. SCHÖN DOOF
: Arbeitgeber auf den Rängen

wundert sich über die Guerrero- Hysterie

CHRISTOPH RUF

Eines vorweg: Es ist wunderbar, dass die meisten Menschen gelassener auf Beleidigungen reagieren, als Paolo Guerrero das getan hat. Wäre dem nicht so, wären alle Straßen von Föhr bis Altötting von Glasscherben und zerdetschten Plastikflaschen gesäumt wie früher auf der Reeperbahn nachts um halb eins.

Um das zu dokumentieren, hat der DFB Guerrero für fünf Spiele gesperrt und der Hamburger SV eine Geldstrafe für seinen Stürmer ausgesprochen. Wer schon einmal erlebt hat, wie erbittert hochbezahlte Profis um einige hundert Euro Gage für die Autogrammstunde bei der Baumarkt-Eröffnung feilschen, weiß, dass die angeblichen 50.000 bis 100.000 Euro dem Spieler richtig wehtun. Der HSV hat also alles richtig gemacht.

Es wäre schön, wenn man das von uns Medienheinis auch sagen könnte. Kann man aber nicht. Randerscheinungen, wie sie noch vor 10 Jahren konsequenterweise allenfalls eine Randnotiz wert gewesen wären, bestimmen auch in seriösen Blättern über Tage die Berichterstattung. Wichtig ist eben nicht mehr auf dem Platz – zumindest nicht im Sportressort. Lehmann reist nicht im Mannschaftsbus ab, Podolski ohrfeigt Ballack, Guerrero wirft eine Plastikflasche. Kann man das alles nicht dem „people“-Ressort überlassen? Offenbar nicht, also wird in jede Banalität zeilenweise Bedeutung hineininterpretiert. Eine Plastikflasche wird zum Symptom einer tiefgreifenden HSV-Krise. Beim Überbietungswettbewerb der medialen Straffindung fehlte auch in liberalen Medien nicht mehr viel bis zur Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe.

Merkwürdig auch, dass bei all der Empörung über den unerzogenen 26-Jährigen viel Verständnis für den verbalen Amoklauf des getroffenen Zuschauers mitschwingt. Da wird einfühlsam vom „eingefleischten“ HSV-Fan geschrieben. Als seien Leute, die im Hassdelirium „Hurensohn“, „Wichser“ und wohl auch „Schwuchtel“ brüllen, nicht eingefleischte Idioten. Würde der eingefleischte HSV-Fan seine Kinder „Wichser“ nennen oder seinen Nachbarn „Hurensohn“? Würde er seinem Chef sagen, er solle sich nach Lüneburg verpissen? Natürlich nicht. Die bürgerliche Fassade wird nur samstags gelüftet. Im Fußballstadion, dieser Bühne für Neurotiker.

Und wie hunderttausende andere Fans sehnt sich offenbar auch unser HSV-Freund nach den guten alten Zeiten, als in München die Schwarzenbecks, in Bochum die Lamecks und beim HSV die Seelers spielten. Weshalb er ebenfalls herausblökte, Guerrero möge „zurück nach Peru“. Mit Rassismus hat das nicht unbedingt etwas zu tun. Nur mit viel kindlichem Blut-und-Boden-Satz, der im Fußball gemeinhin als „Nostalgie“ verklärt wird. Schon grotesk, dass Menschen, die im Gegensatz zu ihren Vorfahren im Urlaub längst nicht mehr an ein frostiges Ostseebad, sondern nach Indonesien oder Namibia fliegen, ausgerechnet im Fußball eine Welt suchen, die der Globalisierung trotzt. Wenn der Nachwuchsspieler aus dem Hamburger Vorort allerdings wider Erwarten doch nur ein Vorortspieler und kein Ronaldo ist, ist der Trainer schuld. So ist Fußball. Schön blöd.

Als Zuschauer darf man eben offenbar alles – es sei denn, man hat sich ein Stehplatzticket gekauft, dann gilt man als möglicher Krimineller. Dem Fan, der Eintritt zahlt, geben Funktionäre und Medienleute ansonsten immer Recht. Auch wenn das so populistisch ist wie bei den Politikern, die immer genau wissen, was „die Menschen da draußen“ so empfinden. Kein Wunder, dass die dermaßen gebauchpinselten Konsumenten so gerne laut kundtun, dass sie „die Schnauze voll“ haben, „euch kämpfen sehen“ wollen oder eben alle „schwule Söldner“ seien. Im maximalen Zirkus Fußballbundesliga senkt das Volk gerne den Daumen. Ein ehemaliger taz-Autor aus dem sonnigen Freiburg hat diese Geisteshaltung einmal „Arbeitgebermentalität“ getauft. Harte Worte – aber keinen Deut zu hart.