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Archiv-Artikel

McLaren hat sie alle gefickt

WIR WAREN PUNKS So war das damals in der Provinz: Alles kackegal

Plötzlich bekam dieses bekackte Gefühl, dass alle doof sind, auch man selbst, eine Form

Wir dachten, wir wären Punks.

Nein, nicht die Sorte, die Bierdosen in der Fußgängerzone leerte und Omas erschreckte. Die gab es auch. Aber die hätten auch ohne Punk einen Grund gefunden, Alkoholiker zu werden.

Wir hatten auch nichts gegen Bier. Aber vor allem schnitten wir uns die Haare ab, möglichst krumm und schief. Wir wuschen uns nur, wenn wir mit vorgehaltener Waffe oder Taschengeldentzug dazu gezwungen wurden. Wir rutschten so lange auf den Knien herum, bis die Jeans so aussahen, als wären wir in ihnen auf die Welt gekommen. Der eine oder andere versuchte, sich eine Sicherheitsnadel durch die Backe zu stechen. Tat aber weh. Also warteten wir lieber auf den Atomkrieg, der stündlich beginnen musste. Und dann machten wir das Abi. Aber unsere trübe Weltsicht hatte plötzlich einen Sinn bekommen. Wir waren Punks.

Oder das, was wir dafür hielten. Und das, was wir für Punk hielten, wurde geprägt von dem Film „The Great Rock ’n’ Roll Swindle“. Von der Spucke, die aus Sid Vicious’ Mundwinkel auf den Bass tropfte, den er offensichtlich kein bisschen spielen konnte. Von der Menschenverachtung, die aus jeder Silbe sprach, die Johnny Rotten rauskotzte. Und von diesem Lockenkopf, der die Bürokraten und die Politik und das Kapital mit seinen eigenen Waffen schlug: Malcolm McLaren, er hat sie alle gefickt.

Klar, heute wissen wir, dass das meiste davon Legende ist. Aber damals gingen wir erst mal in den örtlichen Plattenladen, den einzigen, den es in dieser verschissenen westdeutschen Studentenstadt überhaupt gab. Der hieß „Musicland“ oder so ähnlich, aber dort war „Never Mind The Bollocks“ nicht vorrätig. Der Laden gehörte einem langhaarigen Alt-Hippie, den wir davon überzeugen mussten, diese Platte zu bestellen. Und so kam der Punk um 1980 in der westdeutschen Provinz an, endlich und mit ziemlicher Verspätung.

War aber trotzdem geil. Endlich war man anders. War keiner, der auf ein Leben aus 40-Stunden-Woche und samstäglicher Automobilreinigung zusteuerte. Und auch keiner dieser Kirchentagsgänger mit den lila Latzhosen, denn die waren fast noch schlimmer. Plötzlich bekamen all die Langeweile, all das Irgendwiedagegensein, dieses bekackte Gefühl, dass alle doof sind, auch man selbst, einen Rahmen, eine Form. Dass die ganze Scheiße in England bereits zu einem prima Geschäft verkommen war, woran ein gewisser McLaren nicht ganz unschuldig war, dass wussten wir nicht. Wär uns auch egal gewesen, kackegal. Denn wir waren ja Punks. THOMAS WINKLER