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Archiv-Artikel

Die Urväter des Copy and Paste

Die Erfindung der Zukunft als Fulltimejob: Seit den 80er Jahren basteln die Ninja-Tune-Gründer „Coldcut“ ihre vielfältigen Multimedia-Produktionen. Heute Abend stellen sie ihr neues Album „Sound Mirrors“ in der Fabrik vor

Donnerstag, 20 Uhr, Fabrik

Mitte der 80er Jahre haben sich der Programmierer Matt Black und der ehemalige Kunstlehrer Jonathan More im Secondhand-Plattenladen „Reckless Records“ im Londoner Westend kennen gelernt. Black kaufte von More ein Bootleg, kam am nächsten Tag mit einem eigenen Track zurück und schlug vor, gemeinsam daran zu arbeiten. Erste Früchte trug die Zusammenarbeit beim damaligen Piratenradio „Kiss FM“, für das das Duo die bis heute – auch auf dem Hamburger freien Radio fsk – laufende Sendung „Solid Steel“ zusammenstellte. 1987 veröffentlichten die beiden schließlich unter dem Namen „Coldcut“ ihre erste Single „Say Kids, What‘s The Time“ – die erste vollständig aus Samples gebastelte Platte Großbritanniens. Kurz darauf konnten sie sich mit ihrem – zum besten des Jahres gewählten – Remix von Eric B. und Rakims „Paid in Full“ erstmals in den Top Ten platzieren.

Seitdem feilen „Coldcut“ u. a. mit Radiosendungen, Installationen, Parties, Computerspielen und sogar einer eigenen Partei unermüdlich an der Neuerfindung der Zukunft. 1991 gründeten sie ihr eigenes, mittlerweile legendäres Independent-Label Ninja Tune, das heute so unterschiedlichen wie namhaften Acts wie Amon Tobin und DJ Vadim ein musikalisches Zuhause bietet. 1997 bekam Ninja Tune mit Big Dada einen HipHop-Ableger, der unter anderem Roots Manuva und die Experimental-HipHopper „cLOUDDEAD“ unter Vertrag hat. Der Schlüsselaspekt der Ninja-Tune-Ethik bleibt dabei die Verstohlenheit: Produzierende wie Hörende werden als „Agenten“ im Burrough‘schen Sinne verstanden, die die D.I.Y.-Ethik des Spiels als essenziell subversiver Akt der Wiederholung und Manipulation von Medien aller Art propagieren.

1997 veröffentlichten „Coldcut“ das Programm „VJamm“, mit dem in Echtzeit Videos manipuliert werden können. Mit dieser Software und anderen selbst entwickelten Tools wie dem scratchbaren DVD-Player gestalten „Coldcut“ auch ihre Aufsehen erregenden Live-Sets, in denen die „Digital Jockeys“ aus Material aller Art eindrucksvolle Multimedia-Collagen zaubern.

Nach fast zehn Jahren haben die beiden Pioniere des „VJing“ Anfang dieses Jahres mit „Sound Mirrors“ ihrem programmatischen Longplayer „Let Us Play“ ein neues Album folgen lassen. Sicher kein Meilenstein wie der verspielte Vorgänger, unbestritten aber eine souveräne Grundlage für einen unvergesslichen Abend. ROBERT MATTHIES