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Archiv-Artikel

Es fährt kein Zug nach Irgendwo

Europäische Verkehrspolitik setzt auf Prestige-Projekte wie die Brücke über den Fehmarnbelt. Besser wäre die Modernisierung des Bahnverkehrs in Osteuropa

Statt der alten „transeuropäischenNetze“ brauchen wir „VerkehrsprojekteEuropäische Einheit“

Die „Fehmarnbelt-Konferenz“ im Februar hatten sich die Verkehrsminister von Dänemark und Schleswig-Holstein sicherlich anders vorgestellt. Das 128 Seiten starke Gutachten für die Querung der südwestlichen Ostsee lag nur auf Englisch vor. Und dass kein Regierungsvertreter aus Berlin anwesend war, sprach auch für sich. Doch statt nach 20-jähriger Planung endlich einen Finanzplan für das Milliardenprojekt vorzulegen, zog es der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Dietrich Austermann vor, über Geld gar nicht erst zu reden.

Er weiß genau, dass die Bundesregierung für die Fehmarnbeltbrücke kein Geld hat. Und auch die EU nicht – im Gegenteil: Schließlich war es seine Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, unter deren Ägide die vom Europaparlament geforderten 20 Milliarden Euro für die „transeuropäischen Netze“ im Zeichen der Haushaltsplanung bis 2013 auf ein Drittel zusammengestrichen wurden.

Nicht nur angesichts der knappen Mittel sollten alle Verkehrspläne unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden: Welchen verkehrspolitischen Effekt haben sie, und wie wirken sie sich auf die Umwelt aus? Eine europäische Verkehrspolitik muss in erster Linie das Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs befördern. Zudem muss aus ökologischen Gründen die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf Eisenbahn und Wasserstraße erreicht werden.

Die Fehmarnbeltquerung wurde schon vor der Wende von 1989 geplant. Seitdem hat sich Europa gewaltig verändert, und damit auch die Verkehrsströme: Vom schwedischen Trelleborg gibt es heute täglich mehr als zehn Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren moderne und schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock. Zudem wurde mit der Öresundbrücke im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden für Straße und Schiene dem Verkehr übergeben. Käme die Fehmarnbeltbrücke noch hinzu, würden die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden absterben. Allein für den Lübecker Hafen wäre eine feste Beltquerung Gift. Etwa 20 Prozent der südschwedischen Verkehre, die heute über Travemünde laufen, fielen weg, denn die Brücke würde dem Lkw erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber Schiff und Bahn verschaffen.

„Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch Unsinn“, findet deshalb auch der Lübecker Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU). Denn auch ohne das gigantische Brückenbauwerk wächst die Ostseeregion immer enger zusammen. Seit sechs Jahren fahren moderne Doppelendfähren 96-mal am Tag zwischen Puttgarden und Rødby, die Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Die Schiffe wurden so umgebaut, dass sie Pkws und Lkws mitnehmen können. Kein Wunder, dass schon heute viele Menschen aus Dänemark tagsüber Kiel, Lübeck oder Hamburg besuchen – und umgekehrt.

Da parallel zur Bahnverbindung auch eine Straßenbrücke gebaut werden soll, würde die Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden. Im Gegenteil: Wegen der unfairen Wettbewerbsbedingungen würde der Lkw-Verkehr zwischen Skandinavien und Osteuropa mit gewaltigen Umwegen über Schleswig-Holstein gezogen. Das wäre auch ökologisch unsinnig, weil die Menschen in dieser Region in Lärm, Stau und Abgasen ersticken würden. Dabei zeigt der Güterverkehr längst verheerende Folgen: Laut einer Studie der EU sterben in Folge der Luftverschmutzung in Europa jährlich etwa 310.000 Menschen. Der Schwerlastverkehr ist einer der Hauptverursacher der gefährlichen Feinstäube.

Auch in Europa muss zusammenwachsen, was zusammengehört. Deshalb muss das knappe Geld dort ausgegeben werden, wo der umwelt- und verkehrspolitische Effekt am größten ist. Die Wunschliste des Europaparlaments für die „transeuropäischen Netze“, die 30 Prestige-Projekte im Gesamtwert von 225 Milliarden Euro umfasst, ist ein Dokument nationaler Egoismen. Wollte man nur vier dieser Projekte realisieren – die Brücke über die Straße von Messina zwischen Sizilien und dem italienischen Festland, den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien, den Eisenbahn-Tunnel zwischen Frankreich und Italien und die Fehmarnbeltbrücke zwischen Deutschland und Dänemark –, wäre das Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass sinnvolle verkehrspolitische Effekte erzielt worden wären.

Auch für die auf der Konferenz abwesende Bundesregierung hat der Bau der Fehmarnbeltbrücke – entgegen allen öffentlichen Beteuerungen – keine oberste Priorität. Das Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze, das zwischen der Bundesregierung, der Deutschen Bahn und dem Eisenbahnbundesamt abgestimmt wurde, sieht die Führung des Skandinavienverkehrs über die Öresundbrücke vor. Dementsprechend soll auch die Strecke zwischen Hamburg und Flensburg schnellstmöglich modernisiert und ertüchtigt werden.

All das müsste eigentlich auch dem Kieler Verkehrsminister Dietrich Austermann bekannt sein. Doch er hofft weiter auf den Geldsegen aus Brüssel, ebenso wie manche Träumer in Italien, Frankreich und Österreich.

Von Berlin nach Tallinn war eine Dampflok 27 Stunden unterwegs. Moderne Züge brauchen 60

Dabei sind, fast zwei Jahre nach der Wiedervereinigung Europas und mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, gerade die Eisenbahnverbindungen gen Osten noch immer in einem schlechten Zustand. Die Züge auf der Verbindung von Berlin nach Tallinn brauchen heute noch immer mehr als doppelt so lange wie im letzten Jahrhundert. Damals schaffte die Dampflokomotive die Strecke in 27 Stunden, heute ist man 60 Stunden lang unterwegs. Von der deutschen Hauptstadt nach Breslau dauerte es einst lediglich zweieinhalb Stunden. Heute sind es sechs. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Angesichts des stetig wachsenden Verkehrs zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten ist diese Situation untragbar.

Europa braucht ein dichtes und zeitgemäßes Netz an Eisenbahnverbindungen, von Lissabon nach Tallinn, von London nach Athen und von Paris nach Warschau. Soll die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht nur der Pflicht zur Sonntagsrede geschuldet sein, müssen statt kostenträchtiger Prestigeprojekte im „alten Europa“, wie die Fehrmannbeltbrücke eines darstellt, die umweltfreundlichen „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“, die Eisenbahnverbindungen zwischen den alten und neuen Mitgliedstaaten, die oberste Priorität in der EU bekommen.

Diese Aufgabe liegt derzeit in den Händen des Franzosen Jacques Barrot. Er wäre ein sehr erfolgreicher EU-Kommissar für Verkehr, wenn er am Ende seiner Amtszeit verkünden könnte, dass er im zusammenwachsenden Europa des 21. Jahrhunderts im Schienenverkehr zwischen Ost und West wenigstens das Tempo der Dampflokomotive erreicht hätte. MICHAEL CRAMER