Brasiliens Präsident kommt davon

Nach einem Untersuchungsbericht zum Stimmenkauf in Brasiliens Parlament sollen gegen 118 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Lula bleibt unbelastet

PORTO ALEGRE taz ■ Ein halbes Jahr vor der ersten Runde der brasilianischen Präsidentenwahl kann Luiz Inácio Lula da Silva aufatmen: Im 1.839-Seiten-Wälzer, den ein parlamentarischer Ausschuss zur Korruption vorgestern nach neunmonatiger Arbeit vorlegte, kommt der Staatschef ungeschoren davon. Für den Stimmenkauf im Parlament sei Lula nicht verantwortlich, heißt es in dem Bericht – auch wenn es ihm „nicht schwergefallen sein dürfte“, die ungewöhnliche Art und Weise zu erkennen, „mit der die parlamentarischen Mehrheiten geschmiedet wurden“.

19 Abgeordnete werden als Beteiligte namentlich genannt. Gerade drei von ihnen verloren bislang ihr Mandat, darunter Lulas früherer Chefstratege José Dirceu, der vermeintliche Organisator des Geldregens. Erwiesen ist, dass umgerechnet 21 Millionen Euro auf verschlungenen Wegen an Abgeordnete aus dem Regierungslager flossen. Rund 12 Millionen konnten bislang bis an die Quellen zurückverfolgt werden, etwa zur Staatsbank Banco de Brasil oder großen Privatunternehmen. Gegen 118 Personen sollten nun Ermittlungen eingeleitet werden, forderte Berichterstatter Osmar Serraglio.

Dass sich der politische Schaden für Lula in Grenzen halten würde, hatte sich bereits in den letzten Monaten abgezeichnet. Zwar ist seine Arbeiterpartei ihren Ruf los, „ethischer“ zu agieren als die notorisch korrupten Traditionsparteien. Doch die Abwanderung nach links hielt sich in Grenzen, und die Opposition aus Sozialdemokraten und Rechtsliberalen hat alle Mühe, sich dem Wahlvolk als attraktive Alternative zu präsentieren. Ihr vor zwei Wochen gekürter Gegenkandidat, São Paulos Gouverneur Geraldo Alckmin, liegt in allen Umfragen klar hinter dem Amtsinhaber.

Auftrieb bekamen Lulas Gegner am Montag, als Finanzminister Antonio Palocci seinen Hut nehmen musste. Der mächtigste Mann im Kabinett, ein immer gern gesehener Gast auf den Treffen seiner G-8-Kollegen, wurde ausgerechnet vom Hausmeister einer Villa in Brasília in die Enge getrieben. Dieser sagte aus, er habe Palocci „zehn- bis zwanzigmal“ gesehen – dort, wo dessen alte Bekannte, die zu Hauptstadtlobbyisten mutiert waren, Feste mit „leichten Mädchen“ feierten. Lula musste Palocci entlassen. Über Paloccis Sturz freut sich aber nicht nur die Opposition. Mit seinem Nachfolger Guido Mantega könne das neoliberale Modell eher überwunden werden, hofft etwa der Soziologe Emir Sader. Unternehmer wie Gewerkschafter drängen auf eine Abkehr von der wachstumshemmenden Hochzinspolitik der Zentralbank, die auch Mantega kritisch sieht.

Doch zumindest bis zum Wahltag bleibt alles beim Alten: Auf das Grummeln der Finanzmärkte regierte Lula mit einem Freibrief für die Zentralbank. Trotz dieses Wohlverhaltens der Regierung favorisiert das Finanzkapital wie schon 2002 den Kandidaten der Rechten. Lula hingegen profiliert sich erneut als Hoffnungsträger der Armen. Schon jetzt erhalten über 9 Millionen Familien einen monatlichen Haushaltszuschuss von bis zu 35 Euro, bis zum Wahltag sollen noch einmal 2 Millionen hinzukommen. GERHARD DILGER