: Hamburgs CDU bricht Verfassung
Die Christdemokraten haben versucht, der Volksgesetzgebung die Zähne zu ziehen – und damit beim Verfassungsgericht auf Granit gebissen. Eine von fünf Änderungen ist verfassungswidrig. Existierende Initiativen genießen „Vertrauensschutz“
von GERNOT KNÖDLER
Die Hamburger CDU hat in Sachen Volksgesetzgebung eine Niederlage kassiert. Das hamburgische Verfassungsgericht bewertete ihren Versuch, die direkte Demokratie zu erschweren, als teilweise verfassungswidrig. Für laufende Initiativen müssten überdies die Spielregeln gelten, unter denen sie gestartet seien. Das Gericht gab damit den Abgeordneten der Oppositionsparteien GAL (Grüne) und SPD recht, die eine Normenkontrollklage gegen den Senat angestrengt hatten.
Der christdemokratische Senat unter Führung von Bürgermeister Ole von Beust tut sich grundsätzlich schwer mit der Volksgesetzgebung, obwohl die CDU als ehemals ewige Oppositionspartei ihre Einführung mit vorangetrieben hat. Einmal an der Macht, hat sie einen Volksentscheid ignoriert, andere Beschlüsse verfälscht und über viele Bürgerentscheide in den Bezirken hinweg regiert.
Im aktuellen Fall hat die CDU die per Volksentscheid durchgesetzte Volksgesetzgebung selbst angegriffen. Mit ihrer Mehrheit in der Bürgerschaft beschloss sie ein Gesetz, nach dem Volksentscheide nicht mehr an Wahltagen stattfinden dürfen. Das sei nicht mit der Hamburgischen Verfassung vereinbar, befand das Gericht. Unterschriften für Volksbegehren – die Vorstufe zum Volksentscheid – sollen die Hamburger nicht mehr auf der Straße, sondern nur noch auf Ämtern oder brieflich leisten können. Diese Regel ist verfassungskonform und stand im Verfahren nicht zur Debatte.
Die Freunde der direkten Demokratie werfen der CDU vor, sie wolle sich unliebsame Beschlüsse der Bürger vom Hals halten. „Wenn die BürgerInnen erst in versteckte Amtsstuben laufen müssen, um ihr demokratisches Recht wahrnehmen zu können, kann es eine Regierung nicht sehr ernst nehmen mit der Volksgesetzgebung“, sagt Angelika Gardiner vom Verein „Mehr Demokratie“. Diese Vermutung werde erhärtet durch die Absicht der CDU, Volksentscheide an Wahltagen zu verbieten. Diese Pläne machten Volksabstimmungen per Gesetz „praktisch unmöglich“, schimpft Frank Teichmüller, der die Gewerkschaften im Bündnis für den Volksentscheid vertritt.
Einen Volksentscheid durchzubringen ist nicht einfach. Das Verfahren beginnt mit einer Volksinitiative, die von 10.000 Wahlberechtigten unterstützt werden muss. Kommt die Bürgerschaft deren Anliegen nicht nach, kann die Initiative ein Volksbegehren beantragen. Wird dieses von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigen per Unterschrift unterstützt, ist ein Volksentscheid möglich. Nur wenn ein Fünftel der Wahlberechtigten das darin vorgebrachte Anliegen unterstützt, wird es Gesetz.
Die Förderer der direkten Demokratie halten es für schikanös und unrealistisch, dass Volksbegehren nur in Amtsstuben unterschrieben werden dürfen – dreimal die Woche von zwölf bis 18 Uhr. Bei 20 dafür vorgesehenen Dienststellen müssten die Ämter im Durchschnit 20 Unterschriften pro Stunde annehmen. Legt man die Erfahrung bisheriger Volksbegehren zugrunde, stünden mehr als 60 Wahlberechtigte pro Stunde Schlange, um sich auf der Unterstützer-Liste einzutragen.
„Wenn ich hinter einer Sache stehe, kann von mir auch erwartet werden, dass ich diese Mühe auf mich nehme“, findet der CDU-Abgeordnete Manfred Jäger. Die Idee, Volksentscheide und Wahlen zu entkoppeln, begründet der Abgeordnete, der dieser Tage beinahe zum Staatsrat der Justizbehörde gekürt worden wäre, mit dem Gebot der Gleichbehandlung: Volksentscheide, die an Wahlterminen stattfinden, hätten größere Chancen auf eine hohe Beteiligung als an anderen Tagen.
Das Gericht hatte diese Frage nicht zu klären, sondern nur in den Verfassungstext zu schauen. Dieser ermögliche Volksentscheide am Tag allgemeiner Wahlen. „Dem Gesetzgeber ist das nicht einfach zur Disposition überlassen“, sagte Gerichtspräsident Wilhelm Rapp. Für ein Koppelungsverbot müsste die Verfassung verändert werden.
Einer laufenden Volksinitiative gegen die bereits vollzogene Auflösung der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) gewährten die Verfassungsrichter Vertrauensschutz. Die Initiatoren hätten Geld und Arbeit aufgewendet und nicht damit rechnen können, dass die CDU die Rechtsgrundlage ändere. Die beiden Initiativen „Rettet den Volksentscheid“ und „Hamburg stärkt den Volksentscheid“ könnten sich darauf nicht berufen. Beide wehren sich explizit gegen das Erschweren und Aushebeln der Volksgesetzgebung durch die CDU. „Die Kenntnis über beabsichtigte Gesetzesänderungen schließt einen Vertrauensschutz aus“, urteilte das Gericht.
Das Bündnis für mehr Demokratie, dem neben vielen Bürgerinitiativen auch die Gewerkschaften sowie FDP, SPD und GAL angehören, will jetzt erst recht kämpfen. „Das Gerichtsurteil hat uns dazu den Rücken gestärkt“, sagt Gardiner von „Mehr Demokratie“.