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Archiv-Artikel

Prügel für den Schulsenator

Alle gegen Böger: Die Opposition wirft ihm im Fall der Neuköllner Rütli-Schule Versagen vor. Wowereit: gesamtgesellschaftliche Probleme

VON ALKE WIERTH

Über mangelnde Aufmerksamkeit für die Probleme seines Bezirks kann sich Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) derzeit mal wieder nicht beklagen. Das Kollegium der Rütli-Hauptschule im Norden des Bezirks hatte in einem vor drei Tagen bekannt gewordenen Schreiben an die Schulbehörde beklagt, dass Gewaltbereitschaft und „menschenverachtendes Auftreten“ vieler Schüler den Unterricht unmöglich machten. Die Lehrerinnen und Lehrer baten in dem Brief um eine Auflösung ihrer Schule „zugunsten einer neuen Schulform“.

Seither tobt in Berlin und darüber hinaus eine Debatte über Sinn und Unsinn von Hauptschulen, aber auch über die integrationspolitischen Versäumnisse, die dazu führten, dass insbesondere an Schulen mit hohem Migrantenanteil Probleme zu beklagen sind. An der Rütli-Schule stammen über 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien, die Mehrheit aus arabischen, die zweitgrößte Gruppe aus türkischen.

Für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wirft der Fall der Rütli-Schule die Frage nach der „Zukunftsfähigkeit der Hauptschulen“ auf. Die Probleme der Schule seien aber auch Ausdruck der Probleme der Gesellschaft, so Wowereit.

Heftige Kritik an Schulsenator Klaus Böger (SPD) kommt von der Opposition. „Böger ist gescheitert“, sagt Özcan Mutlu, der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Der Schulsenator reagiere erst, wenn es zu spät sei, kritisierte Nicolas Zimmer, der Vorsitzende der CDU-Fraktion. Die CDU fordert eine „Task Force Schule“ aus Polizei, Sozialpädagogen und Schulpsychologen. CDU-Sicherheitsexperte Peter Trapp, Vorsitzender des Innenausschusses, schlägt vor, an den Eingängen der Rütli-Schule Metalldetektoren zu installieren: Es reiche nicht, wenn dort die Polizei vor der Schultür stehe. Auch die FDP-Bildungspolitikerin Mieke Senftleben kritisierte Böger: „Ich begreife nicht, wie einem Schulsenator jahrelang verborgen bleiben kann, dass eine ganze Schule im Chaos versinkt“, so Senftleben. Sie forderte ebenfalls Polizeikontrollen an der Schule.

Tatsächlich wurde an der Rütli-Schule gestern mit Polizeischutz unterrichtet. Schüler berichteten, Journalisten hätten ihnen Geld angeboten, damit sie Gegenstände aus den Fenstern der Schule werfen oder vor der Kamera über Drogenhandel und ähnliche Probleme berichten würden. Nach einem Besuch der Schule bezeichnete die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) die Zustände dort als „alarmierenden Hinweis auf eine Parallelgesellschaft, in der die Werte und Regeln unserer Gesellschaft nicht mehr greifen“.

Die demokratische Erziehung in arabischstämmigen Familien müsse gefördert werden, forderte der Leiter des in Neukölln ansässigen Arabischen Kulturinstituts, Nazar Mahmood. Junge Araber würden zu Hause autoritär erzogen, in den Schulen seien die Autoritäten schwach. Auch sollten Lehrer mehr Kontakt zu den Eltern suchen, so Mahmood. Die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) kündigte gestern an, in Berlin eine Bildungsoffensive zu starten. Türkischstämmige Sozialarbeiter sollten dabei vor allem den Kontakt zu den Eltern verbessern. Der Ausländeranteil von Schulen sei aber nicht entscheidend, so TGD-Vorsitzender Kenan Kolat: Dass Gewalt in manchen Schulen an der Tagesordnung sei, habe keine ethnischen, sondern soziale Gründe.

Unterdessen präsentierte Schulsenator Böger gestern der Rütli-Schule ihren neuen Leiter. Der soll zunächst bis zu den Sommerferien an der Schule bleiben. Gemeinsam mit Vertretern von Schülern, Lehrern und Eltern sowie den beiden neuen Sozialarbeitern der Schule diskutierten Böger und der neue Schulleiter deren Zukunft. Statt für eine Zusammenlegung der Rütli-Schule mit der benachbarten Heinrich-Heine-Realschule plädierte Böger dabei für deren „Zusammenwachsen“: Verordnungswege von oben seien immer falsch, so der Schulsenator.