Seinem Leitstern gefolgt

WERNER SCHROETER Der Schönheit baute er Tableaus, mit Extravaganz nahm er sich der Mythen an: Der Regisseur Werner Schroeter ist tot

VON CRISTINA NORD

Vor knapp einem Jahr kam „Nuit de chien“ („Diese Nacht“) in die deutschen Kinos, der jüngste und letzte Film Werner Schroeters. Es war eine freie Adaption des Romans von Juan Onetti. Ort der Handlung ist eine Hafenstadt im Ausnahmezustand; der Protagonist, gespielt von Pascal Greggory, ist eine Figur zwischen den Fronten, der Anführer einer gescheiterten Widerstandstruppe, der dem eigenen Tod wissend entgegengeht und alle Möglichkeiten zu entkommen ausschlägt. Schroeter hielt in seiner Inszenierung seiner Liebe zu Tableaus, zu gesteigerter Künstlichkeit und zu Pathos die Treue. „Diese Nacht“ funkelte dementsprechend wie ein Fremdkörper im gegenwärtigen Kinogeschehen.

In der taz erschien zum deutschen Filmstart ein Interview mit Werner Schroeter. Stefan Grissemann, der Interviewer, äußerte sich verwundert, weil Schroeters Ansicht nach ein utopischer Kern in dem Film stecke – aber wo, bitte schön, in „dieser ultrapessimistischen Erzählung“? Schroeter antwortete: „Im Tod. In der Freiheit, den Tod zu wählen. Die Schönheit des Filmes liegt darin, dass ich dies in aller Grandezza umsetze.“

Werner Schroeter ist am Montagabend in Kassel gestorben, wenige Tage nachdem er seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Dass er Krebs hatte, war kein Geheimnis. Im September 2008 erhielt er bei der Filmbiennale von Venedig einen Ehrenpreis, man sah ihm an, dass er von der Krankheit gezeichnet war. Einen Monat später war er beim Wiener Filmfestival Viennale zu Gast, das ihm eines seiner Tributes widmete. So war es möglich, sich diesem großen deutschen Autorenfilmer – neben Werner Herzog und Rainer Werner Fassbinder – noch einmal mit der gebührenden Konzentration zu widmen, sich seiner Extravaganz, seinem Wahnsinn, seinen exaltierten Formen hinzugeben.

Eine schmale, fragile Erscheinung trat damals auf die Bühne des Gartenbaukinos, das Gesicht unter einem breitkrempigen Hut verborgen, gestützt auf einen Stock. Man hätte Schroeter damals Ruhe, Rückzug und Erholung wünschen wollen, aber zugleich hätte man das nicht gewagt – schließlich waren die Auftritte in der Öffentlichkeit etwas, was am Leben hielt.

Das gilt auch für die folgenden Theaterarbeiten an der Berliner Volksbühne. Vor wenigen Wochen erst hatte Schroeters Inszenierung von Bernard-Marie Koltès’ „Quai West“ dort Premiere, im Juni letzten Jahres brachte er „Antigone/Elektra“ nach Sophokles auf die Bühne. Es war ein starker, statischer Theaterabend, der die beiden griechischen Mythen zu einer Geschichte tragischer weiblicher Auflehnung verwob. Die Sprache der Hölderlin-Übertragung von Sophokles’ Drama kam dabei überaus klar zur Geltung. „Ungeheuer ist vieles. Doch nichts. Ungeheuerer als der Mensch.“

Schroeter kam in der Nähe von Gotha zur Welt und wuchs in Bielefeld und Heidelberg auf. Er bestand die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, brach das Studium aber rasch wieder ab und versucht sich, autodidaktisch, am Experimentalfilm. Die Eltern finanzierten ihm eine 16-mm-Kamera, es entstanden Filme wie „Callas Portrait“ (1968), „La morte d’isotta“ oder „Eika Katappa“ (1969); gut ein Jahrzehnt später war ihm mit „Palermo oder Wolfsburg“ dann auch die breitere Anerkennung sicher. Die Oper war ihm ständiger Bezugspunkt, die Schönheit und die Gewalttätigkeit, die Weiblichkeitsentwürfe, die Diven. Über Maria Callas sagte Schroeter: Sie „ist mein Leitstern, immer und immer und immer.“ Und: „Für mich war Callas wie eine Botin zwischen Gott und Mensch.“

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Schroeters Schaffen mit vielen starken, profilierten Frauen verbunden war – vor der Kamera etwa war immer wieder Magdalena Montezuma zu sehen, dahinter stand zum Beispiel Elfi Mikesch, die die Romanadaption „Malina“ fotografierte. Elfriede Jelinek schrieb dafür das Drehbuch; Isabelle Huppert spielte die Protagonistin.

Schroeter stand wie kein Zweiter für einen spezifisch schwulen Umgang mit Hochkultur. Das Hohe, wie es in der Oper, in Hölderlin oder Sophokles steckt, wird bei ihm mit einer antibürgerlichen Sensibilität verschmolzen, die vor Camp und Melodrama keine Angst hat. Das ist ziemlich einzigartig.

Der Filmkritiker Karsten Witte schrieb in Bezug auf Schroeter einmal von der „kontinuierlich gelungenen Versöhnung von produktionstechnischer Armut und produktionsästhetischem Reichtum“. Als einen, der viele Reichtümer hinterlässt, wird man Werner Schroeter in Erinnerung behalten.