Teufelskreis Hauptschule

Erst werden schlechte Schüler dort konzentriert – dann wird das Negativmilieu zum entscheidenden Lernnachteil

„Unsere Brüder sind ohne Job – egal, ob sie einen Hauptschulabschluss haben oder nicht“

BERLIN taz ■ Als Maria Böhmer die umgekippte Berliner Rütli-Schule besuchte, erfuhr sie welch geringen Wert das Wörtchen Chance an einer Gettoschule inzwischen hat. „Unsere Brüder sitzen ohne Job zu Hause auf dem Sofa“, erzählten ihr Schüler, „und es ist völlig egal, ob sie den Abschluss geschafft haben oder nicht.“ Als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung die Neuköllner Problemschule wieder verließ, sagte sie: „Das Problem liegt viel tiefer.“

Allerorten avanciert „Gewalt an der Schule“ zum Leitthema. Dabei ist klar: An der Rütli-Schule gibt es nicht mehr Mobbing oder Pöbeleien gegen Lehrer als an anderen Hauptschulen innerstädtischer Brennpunkte. Die Rütli-Schule ist der Normalfall – und zugleich die Zukunft. Es konzentrieren sich dort Schüler unterer sozialer Schichten und hohe Anteile von Zuwandererkindern.

Heute besuchen von knapp 10 Millionen Schülern bundesweit gut 1,1 Millionen eine Hauptschule. In den 1960er-Jahren machten Hauptschüler noch ein Drittel aus. Parallel dazu hat sich die Sozialstruktur verschlechtert: 40 Prozent der Hauptschüler haben einen niedrigen wirtschaftlichen Status und, was noch gravierender ist: Über die Hälfte von ihnen zählt bei den Pisa-Studien zu jenen Schülern, die auch einfache Texte gar nicht oder schwer verstehen. 20 Prozent der Zuwandererkids bleibt ohne Abschluss.

Die Pisa-Forscher haben inzwischen herausgefunden, dass in Hauptschulen ein Teufelskreis herrscht. Das Schulsystem weist der Hauptschule zunächst ein schlechtes Milieu zu, indem es die besseren Schüler herauspickt. Die Negativauswahl wird nach und nach zum stärksten bestimmenden Faktor einzelner Schüler für Misserfolge beim Lernen. Aus dem Alltag dieser Schulen wird berichtet: Unterricht findet dort praktisch nicht mehr statt, es geht nur noch um Gewaltvermeidung.

Wer gewalttätige Hauptschüler einsperren oder ausweisen will (siehe Text oben), wird viel zu tun bekommen. Bereits im Jahr 2010 wird in großen Städten etwa die Hälfte der unter 40-Jährigen einen Migrationshintergrund haben. In den Hauptschulen multipliziert sich der Anteil auf 70, 80 und 90 Prozent. Darauf wird Maria Böhmer nicht müde hinzuweisen. CHRISTIAN FÜLLER