tagestipp : Live-Schaltung aus der Unterwelt
Sie liebt verfließende Grenzen. Stellt mit Leidenschaft Mixturen aus Zeit- und Realitätsebenen her, ohne sich um die Frage zu scheren, ob sie die Gesetze des Genres achtet: Als Totengespräch hat Sibylle Lewitscharoff, die jetzt im Literaturhaus liest, ihren neuen Roman „Consummatus“ konzipiert, der Vergangenheit und Gegenwart fast symbiotisch verklebt.
Theologie hat die 1954 in Stuttgart geborene Autorin studiert, die ihren Protagonisten in die Unterwelt ziehen lässt, um die verstorbene Geliebte, seine Eltern und diverse Autoren zu treffen, die er nach seiner Rückkehr ins Diesseits prompt nicht mehr los wird.
Von der Unterwelt zu berichten hat man ihm dort nämlich zur Auflage gemacht – doch viel Gelegenheit zur unabhängigen Rückschau bekommt er nicht, ergreifen die Toten doch schnell Besitz von ihm: Kichernd und tadelnd, geschwätzig und gravitätisch mischen sie sich fortan in seine Gedanken ein, schalten sich wie Moleküle dazwischen und erdichten so eine neue Welt. Denn was eigener Gedanke ist und was fremde Idee – wie soll er es noch unterscheiden nach den Begegnungen mit Goethe, George und Lasker-Schüler?
Wie eigens aufgetischt sind sie plötzlich da, die Antworten auf die Frage, wie die Verstorbenen unsere Wege beurteilt hätten. Dass sie gelegentlich ungefragt antworten und, den Lebenden gleich, nicht zu steuern sind: Das ist Verdienst und Eigenart dieses schwierigen, flirrenden, tröstlich verwirrenden Romans. PS
heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38