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Archiv-Artikel

„Das lässt sich nicht per Beschluss ändern“

Polen ist Brandenburgs wichtigster Handelspartner. Doch im bundesweiten Vergleich hinkt das Land bei Exporten nach Osteuropa noch hinterher, sagt Gerd Harms, Staatssekretär in der Potsdamer Staatskanzlei. Er hofft, dass bei der morgigen Oderkonferenz der ländliche Raum stärker berücksichtigt wird

Interview Uwe Rada

taz: Herr Harms, während das Bruttoinlandsprodukt im Bundesdurchschnitt 2005 um 0,9 Prozent wuchs, ist es in Brandenburg um 1,1 Prozent gesunken. Ihr Land hat damit von Berlin die rote Laterne übernommen.

Gerd Harms: Es ist die Frage, wie Sie diese Zahlen interpretieren. Bei den Zuwächsen hat Brandenburg in der Tat die rote Laterne. Beim Bruttoinlandsprodukt insgesamt hat es sie nicht.

Klingt beschwichtigend. Erfolgsmeldungen sehen anders aus. Nimmt Brandenburg seine Chancen in Europa nicht wahr?

Wenn Sie sehen, wie sich die Wirtschaft insbesondere in Richtung Polen entwickelt, haben wir da erhebliche Zuwächse. Polen hat als Handelspartner in Brandenburg inzwischen die USA als Nummer eins abgelöst. Die Märkte in Mittel- und Osteuropa haben für Brandenburg an Bedeutung gewonnen. Aber Sie haben natürlich Recht: Strukturell haben wir noch immer ein großes Problem. Der Löwenanteil der deutschen Exporte nach Osten kommt immer noch aus Nordrhein-Westfalen. Das lässt sich nicht per Beschluss ändern.

Auch Sachsen hat gegenüber Brandenburg die Nase vorn. Warum?

Die Struktur der sächsischen Wirtschaft ist anders als die in Brandenburg. Unsere Wirtschaft ist sehr kleinteilig und mittelständisch und in ihrer Mehrzahl noch immer sehr auf den heimischen Markt ausgerichtet.

Ist die Konzentration auf die so genannten Wachstumskerne auch eine Möglichkeit, die Brandenburger Wirtschaft in Europa besser zu positionieren?

Ja. Es ist zunächst eine Entscheidung der Landesregierung gewesen, zu sagen: Wir können nicht alles fördern. Also schaut man, in welchen Bereichen man die Mittel konzentrieren möchte. Das hat auch Auswirkungen auf die Außenwirtschaft. Derzeit erarbeitet der Wirtschaftsminister eine Außenwirtschaftskonzeption. Da geht es auch darum, zu identifizieren: Wo haben wir Stärken in der Außenwirtschaft? Wo ist der Export gut entwickelt? Wo haben wir Jointventures? Und wie passt das alles mit den Wachstumskernen zusammen?

Die größte Stärke Brandenburgs ist Berlin. Ist die Hauptstadt, wenn es um die Wirtschaftsbeziehungen zu Polen und den anderen MOE-Ländern geht, eher Partner oder Konkurrent?

Berlin ist Partner und Konkurrent zugleich. Aber die Zusammenarbeit wächst, nehmen Sie nur das gemeinsame Auftreten der Wirtschaftsförderung im Ausland. Auch in Brüssel treten beide Länder oft gemeinsam auf. Das sind deutliche Zeichen einer gemeinsamen Vermarktung der Region. Das betreiben die Infrastrukturministerien beider Länder, das betreiben der Wirtschaftsminister und der Wirtschaftssenator. Im Übrigen: Im Ausland nimmt man Berlin und Brandenburg oft gar nicht mehr als zwei Bundesländer wahr.

Die Berliner Vision von Mittel- und Osteuropa bezieht sich nicht mehr nur auf Warschau oder Moskau, sondern auch auf das Naheliegende: die Oderregion. Dazu wird es am Mittwoch eine Wirtschaftskonferenz geben, zu der neben Berlins Wirtschaftssenator Wolf auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Junghanns einlädt. Trotzdem tut sich Brandenburg mit dem Thema schwer. Warum?

Hier ist noch Definitionsarbeit zu leisten, worüber wir eigentlich reden. Die Oder und ihre angrenzenden Gebiete umfassen mehr als die mit dem Begriff „Oderregion“ umschriebenen Räume. Und dann: Geht es um ein Städtenetzwerk zwischen Stettin, Berlin, Posen und Breslau? Oder auch um den Raum dazwischen? Dies sind für Brandenburg, aber auch für die polnische Wojewodschaft Lubuskie, die keine Stadt in dieses Metropolennetzwerk einbringen, wichtige Fragen. Und schließlich sollten wir die Felder für Kooperationspotenziale eher sektoral als räumlich betrachten.

Wie würden Sie die definieren?

Ich würde vor allem die Felder nennen, auf denen es bereits vielfältige Kooperationen gibt. Wissenschaft und Forschung zum Beispiel. Das beschränkt sich nicht nur auf die Viadrina in Frankfurt oder das Collegium Polonicum in Slubice. Dann die Vernetzung der Infrastruktur. Die Züge nach Posen und Warschau werden ab Dezember eine Stunde schneller fahren. Dann ist da die Verbindung zwischen Stettin und Berlin …

an der Brandenburg auch wegen des Hafens in Schwedt ein Interesse hat …

… und dann noch die Kooperation im ländlichen Raum. Da spielt der Tourismus eine ganz große Rolle. Wassertourismus, Gesundheit und Erholung. Kulturtourismus. Erfahrung von Natur und Stille. Als weiteres Feld kommt dann noch das Thema Ernährungswirtschaft dazu. All das muss mit bedacht werden, wenn man von einer Oderregion spricht.

Aus diesen Feldern geht auch hervor, dass Brandenburgs Beziehungen zu Polen vor allem Beziehungen zur Wojewodschaft Lebuser Land sind. Sind das zwei völlig verschiedene Vorstellungen zwischen Brandenburg und Berlin? Hier die Kooperation zweier Nachbarregionen, dort das Netz der Metropolen?

In der Landesregierung haben wir festgestellt, dass wir uns in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Polen mehr noch als bisher mit Berlin zusammentun sollen. In den Beziehungen mit Posen und der Region Großpolen ist das bereits verwirklicht. Wenn wir dorthin reisen, reisen wir gemeinsam dorthin. In Bezug auf die Wojewodschaft Lebuser Land ist die Zusammenarbeit mit Berlin noch nicht so stark entwickelt.

Nun ist die Oderregion kein Selbstzweck oder Begriffsspiel. Mit einem solchen Netzwerk ist auch das Ziel verbunden, als grenzüberschreitende Region in Europa in Zukunft mehr Gehör zu finden. Es wird in der nächsten Förderperiode eine Ziel-3-Förderung geben, in der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit besonders gefördert wird. Glauben Sie an den Erfolg einer solchen Zielsetzung?

Eine bessere Positionierung des Raumes in Europa, auch in Abgrenzung von den Wachstumszentren, ist wichtig. Dies kann man nur gemeinsam erreichen. Insofern ist eine Zusammenarbeit sinnvoll und notwendig. Bei der Ziel-3-Förderung ab 2007 handelt es sich um eine Fortsetzung der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit über das Interreg-Programm der EU.

Braucht man dazu dieses Label „Oderregion“?

Das Label kann dazu führen, dass man sich auf bestimmte Dinge konzentriert. Dass ich zum Beispiel sage: Unter diesem Dach entwickelt man gemeinsam grenzüberschreitende Projekte zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und den westpolnischen Wojewodschaften. Man kann auch eine andere Form des Lobbyismus für die Region betreiben, etwa was die Anbindungen an die Ostseeautobahn A 20 betrifft.

Was wäre für Sie ein Erfolg für den morgigen Tag?

Ich plädiere für Realismus. Wenn es uns gelingt, uns weiteren konkreten Projekten anzunähern, wäre das schon ein Erfolg. Das betrifft die Themen Arbeitskräftepotenzial und Bildung und natürlich auch die touristische Erschließung, Städtekooperationen, Wissenschaftskooperationen, Forschung. Ich hoffe auch, dass die Frage des ländlichen Raums eine Rolle spielt. Ich würde die Messlatte aber nicht hoch hängen, indem ich sage: Hier muss eine Vision für eine gemeinsame Region entstehen.

Einer solchen Vision stehen die unterschiedlichen Vorstellungen über den Ausbau der Wasserwege entgegen. Brandenburg will den Hohensaatener Kanal ausbauen, Polen die Ostoder. In polnischen Medien ist sogar davon die Rede, dass die Deutschen die Oder für sich haben wollen.

Das sind populistische Töne, wie sie in den Medien leider immer wieder vorkommen. Tatsächlich glaube ich, dass die polnische Seite auch vom Ausbau des Kanals profitieren würde. Es hatte schließlich seine Gründe, dass dieser Kanal Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Er hat die Schifffahrt unabhängig gemacht von den Wasserständen der Oder.

Die polnische Seite befürchtet, der Schwedter Hafen würde auf Kosten der Häfen in Stettin und Swinemünde profitieren.

Das ist doch Unsinn. Der Schwedter Hafen ist im Hinblick auf die Verladekapazitäten keine Konkurrenz für Stettin und Swinemünde. In Schwedt geht es um den An- und Abtransport für die Papierfabriken. Bisher werden die Güter in Stettin auf Küstenmotorschiffe umgeladen. Mit dem Ausbau des Kanals könnten diese Schiffe direkt bis Schwedt fahren. Der Verlust für den Stettiner Hafen ist aber sehr gering.

Zu Europa in Brandenburg gehören auch die Brandenburger. Vor der Osterweiterung war die Skepsis oft größer als die Zuversicht. Hat sich das inzwischen geändert?

Die Menschen sehen: Europa ist um acht mittel- und osteuropäische Staaten größer geworden, und es ist nicht das passiert, was viele befürchtet haben: dass wir überrannt werden und die Situation auf dem Arbeitsmarkt noch dramatischer wird.

In vielen Bereichen kommt Brandenburg gar nicht mehr ohne polnische Arbeitskräfte aus.

Ja, zum Beispiel bei polnischen Ärzten und in der Pflege. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass das Klinikum in Schwedt inzwischen das Lehrkrankenhaus der medizinischen Fakultät der Universität Stettin ist.