piwik no script img

Archiv-Artikel

Das kann dann schon mal wehtun

PEER RABEN Die Gruppe Arbeit widmet sich Rainer Werner Fassbinders Hauskomponist Peer Raben. In den Sophiensælen stellte sie am Dienstag ihre elektronischen Updates von Rabens Musik vor

Zu den sparsamen Klängen aus Daemgens Keyboard singt Augst mal als Crooner

VON TIM CASPAR BOEHME

Er war Fassbinders Filmkomponist. Seit dessen frühem Film „Liebe ist kälter als der Tod“, zu dem er eher aus der Not heraus die Musik geschrieben hatte, gehörten Peer Raben und Fassbinder untrennbar zusammen. Für viele von Rabens Chansons schrieb der Regisseur sogar die Texte. Im Unterschied zu Fassbinder jedoch ist Peer Raben, der 2007 im Alter von 66 Jahren starb, im öffentlichen Bewusstsein weniger stark gegenwärtig. Seit dem vergangenen Jahr wird er immerhin postum mit dem Peer-Raben-Musikpreis geehrt. Um auch das Werk des Komponisten in die Gegenwart zu retten, präsentiert die Gruppe Arbeit auf ihrem aktuellen Album elektronische Bearbeitungen seiner Musik. Am Dienstag stellten sie ihre ambitionierte Hommage in den Sophiensælen vor.

Wieder hörbar und singbar

Arbeit, das sind in erster Linie die Komponisten Oliver Augst und Marcel Daemgen, auf der Bühne unterstützt vom Schlagzeuger Bernhard Reiß. Als Musiker arbeiten sie in einem Grenzbereich zwischen Neuer Musik, Elektronik und bildender Kunst. Mit ihrem Projekt Arbeit verfolgen sie seit einigen Jahren die Reihe „Archiv Deutschland“, in der sie sich die „Arbeit am Lied“ zum Programm gemacht haben. Verlorengegangenes soll wieder „hörbar und singbar“ gemacht werden. In vorangegangenen Arbeiten nahmen sie sich unter anderem die Musik von Hanns Eisler und Bert Brecht oder deutsche Volkslieder vor.

Rabens satte Melodien werden von ihnen gründlich entkernt und des behaglichen Arrangements beraubt. Die Musik bewegt sich dabei zwischen cineastischen Atmosphären-Versatzstücken aus der Dose und rhythmischem Knacken und Knistern. Zu den sparsamen Klängen aus Daemgens Keyboard singt Augst mal als schmalziger Crooner ins herkömmliche Mikrofon oder verzerrt seine Stimme mittels Funkgerät. Passend zu diesem leicht altmodischen Verfremdungsverfahren tragen die Musiker klassisch dunkle Anzüge, was ihnen eine dezent ironische Zwanziger-Anmutung verleiht. Das Programm der CD wird professionell abgespielt, auf Ansagen wird weitgehend verzichtet.

Mit ihren Neubearbeitungen oder „Re-Visions“, wie die Gruppe sie in etwas abgegriffenem Duktus selbst nennt, wollen sie die Poesie Rabens ins digitale Zeitalter überführen. Ihre Versionen verstehen sie als „Elektrolied“, in dem „Pop als Behauptung/Utopie“ weiterleben soll. Das natürlich geht nicht ohne die guten alten Brechungen und Verweigerungsgesten. Mal erscheint Rabens Musik dann wie ein melodischer Wiedergänger der Glitch-Ästhetik der Neunziger, in denen computergenerierte Störgeräusche die elektronische Musik bestimmten, mal wirkt eines seiner Stücke wie von einem Alleinunterhalter interpretiert, der sich selbst an der Spielzeugorgel begleitet und dabei hin und wieder die falschen Knöpfe dreht. Das soll zerebral-sinnlich sein – doch bitte ohne Wohlfühlen und Kontemplation. Zugleich aber möchte die Gruppe die Melodien so erhalten, wie sie von Raben geschaffen wurden. Manchmal ist das ein bisschen viel auf einmal.

Am besten gelingen die Raben-Updates, wenn sich die beiden Interpreten radikal für eine Richtung entscheiden. Die stark abstrahierte Fassung von „Alles aus Leder“ zum Beispiel mit komplexem Schlagzeug und bohrendem Knistern passt fast zu gut zur lyrischen Sado-Maso-Reflexion, in der die verfremdete Stimme die nötige Distanz schafft, um nicht in Entblößungskitsch zu entgleiten. Andererseits bietet die konsequente Billig-Elektro-Bearbeitung von „Good Evening Good Night“ einen geeigneten Rahmen für Rabens große Melodie, die eben doch mehr will als nur diskretes Pluckern.

Eher ungute Spannungen

Treffen diese beiden Welten hingegen aufeinander, kann die Sache schon mal wehtun, wie in „Lili Marlen“, wo digitales Knistern mit Augsts konventionell analogem Gesang zu eher unguten Spannungen führt. Vielleicht ist genau das beabsichtigt. Allerdings stellt sich dann die Frage, was und wie hier eigentlich gerettet werden soll. Womöglich gilt für Arbeit ja die alte Devise „no pleasure without pain“, was als Reflexionsmodus indes etwas unfrisch wäre. Ganz so viel „Sein ohne Sein“ muss dann doch nicht sein.