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Archiv-Artikel

Immer mehr Lehrer für die Hauptschule

Die Hauptschule soll stärker werden. So lautet die Reaktion der Bundesländer auf die Kapitulation einer Berliner Penne. Stoibers aparte Lösung für lernresistente Kinder von Zuwanderern: ausweisen oder einweisen – in die Sonderschule

Schulforscher Rösner: „Die Hauptschulen müssen sukzessive aufgelöst werden“

VON MAX HÄGLER, TORSTEN GELLNER UND NATALIE WIESMANN

Wer bietet mehr, so lautete gestern die Devise auf den Kollaps einer Berliner Hauptschule im dortigen Risikobezirk Neukölln. Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPS) bleibt bei seinem Gebot, je 50 neue Lehrer und 50 Sozialarbeiter an die Problemschulen zu schicken, hat aber dafür keinen Rückhalt bei seinem Bürgermeister. Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer bietet dagegen 500 Pauker zusätzlich für Schulen in Brennpunkten. Allerdings stand diese Zahl bereits vor der Kapitulation der Rütli-Lehrerschaft fest. Die Pädagogen hatten gefordert, ihre Schule aufzulösen und in neuer Form wieder zu gründen.

Die härteste Gangart schlug, wie so oft, Bayern an. Dort entzog Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) seinem Kultusminister quasi die Zuständigkeit. „Bei uns gilt ab September“, sagte der Ministerpräsident, „Kinder, die nicht Deutsch können, werden nicht mehr in eine deutsche Regelschule eingeschult.“ Die Schüler sollen dann zunächst „in spezielle Förderklassen“, sprich in die Sonderschule. Wie sie wieder herauskommen sollen, verriet Stoiber nicht. Bereits am heutigen Dienstag lässt er dafür sein Kabinett eine entsprechende Gesetzesänderung beraten.

Das bayerische Schulministerium hielt sich zurück. „Wir sind sehr gespannt“, sagte ein Sprecher der taz. Stoiber fordert „klare Grenzen für Kinder und Jugendliche an den Schulen“. Künftig „fliegt aus der Klassengemeinschaft“, wer sich nicht einfügt, kündigte Stoiber an.

Die bayerischen Schulzahlen sehen noch vergleichsweise gut aus. Während in Berlin jährlich knapp 12 Prozent der Hauptschüler Ehrenrunden drehen, sind es in Bayerns 2.874 Hauptschulen nur 4 Prozent. „Nein, eine Restschule ist die Hauptschule in Bayern nicht“, heißt es auch aus der Wirtschaft. Christian Golesch, stellvertretender Abteilungsleiter in der Handwerkskammer München, wehrt sich vehement gegen den Abgesang auf diese Schulform.

In Berlin steht der Bildungssenator nicht allein unter dem Druck der Opposition, er hat auch keinen Rückhalt mehr beim Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für seine Politik. Böger will 50 Lehrer mehr in seine 55 Hauptschulen schicken – Wowereit hält sie hingegen personell wie finanziell für angemessen ausgestattet. Böger hält an der Hauptschule als Schulform fest – der Bürgermeister drängt darauf, Real- und Hauptschulen zusammenzuführen. Wowereit war selbst lange Jahre Schulpolitiker im Berliner Bezirk Tempelhof.

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hatte bereits bei ihrem Regierungsantritt angekündigt, die Hauptschulen stärken zu wollen. Dies soll vor allem durch Umwandlung in Ganztagsschulen erfolgen. Anfang Februar haben zehn Hauptschulen auf Ganztagsbetrieb umgestellt, bis 2012 sollen insgesamt 50.000 Ganztagsplätze eingerichtet werden. Zur individuellen Förderung leistungsschwacher Schüler sollen 500 zusätzliche Lehrer an den insgesamt 730 Hauptschulen einsetzen. „Unser Engagement zeigt, dass uns die Hauptschule von Anfang an am Herzen lag und nicht erst durch schreckliche Erlebnisse wie in Berlin eingefordert werden musste“, so die Schulministerin. Das heißt: Keine Konsequenzen aus der Kapitulation der Rütli-Schule.

Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund billigt der Ministerin guten Willen zu, bezeichnet das Festhalten und Stärken an der Dreigliedrigkeit der Schule aber als vorsintflutlich: „Die Hauptschulen müssen aufgelöst werden.“ Das hätten andere Bundesländer bereits getan oder sie seien gerade dabei. Natürlich gebe es bessere und schlechtere Hauptschulen in NRW, so der Schulforscher. Der Abwärtstrend der Hauptschule sei aber nicht zu stoppen, so Rösner. Eltern wüssten genau, welche Perspektive ihre Kinder auf der Hauptschule hätten – keine. Rösner plädiert daher für eine sukzessive Auflösung der Hauptschulen.