piwik no script img

Archiv-Artikel

Geiseln müssen nicht für Befreiung zahlen

Verwaltungsgericht gibt einer ehemaligen Entführten Recht. Auswärtiges Amt kann nur Heimreise berechnen

BERLIN taz ■ Deutsche Staatsbürger, die im Ausland entführt werden, müssen für ihre Befreiung nicht zahlen. Dafür gebe es im zuständigen Konsulargesetz keine Rechtsgrundlage, entschied gestern das Verwaltungsgericht Berlin. Allerdings kann das Auswärtige Amt weiterhin Kosten für die Heimreise der Geiseln in Rechnung stellen.

Das Urteil gilt als wegweisend, weil sich ein deutsches Gericht zum ersten Mal mit einem Entführungsfall im Ausland beschäftigt hat. Allerdings kann die Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht noch aufgehoben werden, wenn das Auswärtige Amt Berufung einlegt.

Mit seinem Urteil gab das Gericht einer Klage der Rucksacktouristin Reinhilt Weigel statt. Das Auswärtige Amt hatte von der 33-Jährigen verlangt, 12.640 Euro für einen Hubschrauberflug vom kolumbianischen Dschungel in die Hauptstadt Bogotá zurückzuzahlen. Linksgerichtete Rebellen des „Nationalen Befreiungsheeres“ (ELN) hatte Weigel zusammen mit sechs weiteren Geiseln im September 2003 auf einer Trekking-Tour in Kolumbien entführt und zehn Wochen später freigelassen.

Der Flug sei Teil der Befreiung gewesen und könne deshalb nicht als Rückflug in die Heimat gewertet werden, begründete die Vorsitzende Richterin Renate Citron-Piorkowski ihr Urteil. Demnach habe sich Weigel erst in der kolumbianischen Hauptstadt in Sicherheit befunden. Die Entführer hatten die Freilassung von Weigel und einer spanischen Geisel an die Bedingung geknüpft, dass ein ziviler Hubschrauber die beiden Personen vom Dschungel abhole.

In der mündlichen Verhandlung legte die Richterin dem Auswärtigen Amt einen Vergleich nahe. Bereits zuvor hatte Weigels Verteidiger Josef Mayer angeboten, einen Teil der Summe zurückzuzahlen. „Frau Weigel wäre bereit gewesen, 2.500 Euro für ihre Befreiung zu zahlen“, sagte Mayer. Das Angebot entspricht in der Höhe in etwa den Summen, die andere Opfer von Geiselnahmen wie die Göttinger Familie Wallert oder der frühere Staatssekretär Jürgen Chrobog für ihre Rückflüge nach Deutschland gezahlt haben. Die Wallerts waren im Frühjahr 2000 auf den Philippinen verschleppt worden, Jürgen Chrobog wurde im Dezember 2005 im Jemen entführt.

Auf den Vergleich ließ sich das Auswärtige Amt nicht ein. Ihm war es wichtig, rechtlich klären zu lassen, ob und inwieweit das Konsulargesetz bei Entführungen von Deutschen im Ausland hinsichtlich der Rückerstattung der Kosten greift. Jetzt werde man das Urteil sorgfältig prüfen, sagte ein Ministeriumssprecher der taz. Das Auswärtige Amt kann Berufung beim Oberverwaltungsgericht einlegen oder versuchen, einen Teil der 12.640 Euro auf dem zivilrechtlichen Weg zu erstreiten. Auch eine Anpassung des Konsularrechts an solche Entführungsfälle ist denkbar. MAURITIUS MUCH