: Metropole wächst, Region gedeiht
Eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen Hamburg und seinem Umland mahnt eine neue Studie an. Gefordert werden mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte und die gemeinsame Konzentration auf „wissensintensive Dienstleistungen“
Von SVEN-MICHAEL VEIT
Das Unwort darf nicht fehlen. „Das Humankapital“ müsse besser qualifiziert werden, fordert Rolf Steil, Chef der Arbeitsagentur Hamburg, ohne ein sichtbares Zeichen der Verlegenheit. Er meint höhere Bildungschancen für alle und jederzeit – in Kindertagesstätte und Schule, in Berufsausbildung und Studium, am Arbeitsplatz und in der Erwerbslosigkeit. Nur so könnten Hamburg und seine Metropolregion „ihre Wettbewerbsposition“ in Deutschland und Europa stärken.
Das ist für Steil eine der vordringlichsten Konsequenzen aus einer Länderstudie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die gestern in der Hansestadt vorgestellt wurde. Ihr wichtigstes Ergebnis sei, so Autor Per Kropp, dass die Hansestadt „das Arbeitsmarktzentrum in Norddeutschland ist“. Die dauerhafte Verbesserung von Wirtschaft und Arbeit hänge aber davon ab, dass Hamburg und sein Umland „sich noch stärker als gemeinsame Region verstehen“.
Die 64-seitige Untersuchung belegt in Zahlenkolonnen, Tabellen, Graphiken und wirtschaftswissenschaftlicher Prosa „die vielfältigen Verflechtungen in dem zusammenhängenden Wirtschaftsraum“, die sich in der vor zehn Jahren gegründeten Metropolregion Hamburg (siehe Kasten) entwickelt haben. Die augenfälligsten sind für Kropp die inzwischen rund 230.000 Menschen, die täglich von ihrem Wohnort in Schleswig-Holstein und Niedersachsen an ihren Arbeitsplatz in Hamburg pendeln.
Zugleich aber weist Kropp stärker werdende „Disparitäten zwischen Kernstadt und Umland“ nach. Während in Hamburg im vergangenen Jahrzehnt die Beschäftigung jährlich um durchschnittlich 0,4 Prozent sank, „zeichnen sich die Umlandkreise zumeist durch einen Zuwachs aus“. Spitzenreiter ist hier der niedersächsische Kreis Rotenburg/Wümme mit einem Beschäftigungswachstum von immerhin 1,16 Prozent. Durchgängig jedoch sind die positiven Effekte vor allem im nördlichen Umland zu verzeichnen: Zwischen Itzehoe und Ratzeburg werden inzwischen 43 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Schleswig-Holstein erwirtschaftet: Der Beleg für den Begriff Speckgürtel.
Dennoch sei die Interpretation nicht zulässig, mahnt die Studie, dass Hamburg der Verlierer bei der norddeutschen Zusammenarbeit sei. Entscheidend für „das wirtschaftliche Gewicht der Kernstadt“ sei ihre Attraktivität für perspektivisch wachsende Branchen. Hafen und Handel, Verkehr und Logistik als traditionelle Stärken der Hafen- und Hansestadt müssten ausgebaut werden, daneben aber sei vor allem „die ausgeprägte Spezialisierung auf die expandierenden wissensintensiven Dienstleistungen“ erforderlich. Medizintechnik, Life Sciences und Biotechnologie findet Kropp wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch besonders verheißungsvoll, auch die pharmazeutische Industrie bietet demnach Wachstumschancen, ebenso Landwirtschaft und Ernährungsgewerbe.
Letzteres „mag überraschend erscheinen“, räumt der Autor ein. Doch mit Europas größtem Obstanbaugebiet im Alten Land, den Vier- und Marschlanden als „Nummer eins für Gemüse in Deutschland“ sowie der ökonomisch weithin unterschätzten Bedeutung von Spargelanbau, Pflanzenzucht, Fischerei und Milchverarbeitung, sei die Metropolregion Hamburg ein „hochproduktives landwirtschaftliches Zentrum“. So übertreffe die Ernährungswirtschaft zum Beispiel mit rund 33.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten noch immer knapp die Zahl der Arbeitnehmer in der Flugzeugindustrie in Europas zweitgrößtem Luftfahrtzentrum Hamburg.
Die Studie weise überzeugend die Bedeutung „einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen der Kernstadt und ihrem Umland“ nach, findet Jürgen Goecke, Chef der Kieler Regionaldirektion Nord der Arbeitsagentur. „Die Kooperationsbeziehungen zwischen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein müssen vertieft werden“, wenn weitere Arbeitsplätze entstehen sollten. Notwendig seien zudem „attraktive Studienangebote in der gesamten Region“, auch und gerade für Studierende aus dem Ausland. Dafür müssten vermehrt „internationale Studiengänge“ auch in Kooperation mit Unternehmen angeboten werden.
Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) sieht seine Politik von der Untersuchung „eindrucksvoll bestätigt“. Damit der Erfolg sich verstetige, ist aus seiner Sicht zweierlei erforderlich: „Ein hervorragendes Bildungsangebot“ und „eine verstärkte Zuwanderung von hoch qualifizierten Menschen aus dem In- und Ausland“.
Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) schließlich sieht sein Land zwischen den Meeren bereits „als Wachstumsachse“ zwischen Hamburg und der dänisch-schwedischen Boomregion Kopenhagen/Malmö. „Der Schulterschluss“ mit der Hansestadt, freut er sich, „macht uns gemeinsam stark.“