: Vergangenheit statt Zukunft
GRÜNE Energiewende? Steuergerechtigkeit? Kurz vor der Wahl interessiert das grüne Programm kaum noch. Dass sie vor Jahrzehnten die Legalisierung von Sex mit Kindern gefordert hat, bestimmt die Schlagzeilen über die Partei
BERLIN taz | Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin hat sich gegen Vorwürfe in der Pädophilie-Debatte verteidigt. Ihm sei nicht in Erinnerung gewesen, dass das Göttinger Kommunalwahlprogramm von 1981 Textstellen enthielt, die Straffreiheit für Sex mit Kindern forderte, sagte Trittin am Montag in Berlin. Er selbst habe diese Positionen damals für problematisch gehalten.
Die Formulierungen stammten aus dem Bundesprogramm der Grünen von 1980 und seien damals eins zu eins übernommen worden, sagte Trittin weiter. „Diesem falschen Politikverständnis habe ich mich nicht ausreichend genug entgegengestellt. Dafür trage ich Verantwortung. Das sind meine Fehler, die ich bedaure.“
Die Grünen sind kurz vor der Wahl in der Defensive. Der Politologe Franz Walter hatte in einem Beitrag für die taz Rechercheergebnisse zu Pädophilie-Verstrickungen der Grünen in den 1980er Jahren veröffentlicht. Damals verantwortete Trittin das Programm presserechtlich und war als einer von fünf Schlussredakteuren aufgeführt.
Die Grünen selbst hatten Walters Institut für Demokratieforschung im Mai mit der Aufklärung der Affäre beauftragt. Katrin Göring-Eckardt, ebenfalls Spitzenkandidatin der Grünen, betonte am Montag, die Partei habe ihm freie Hand gegeben. Walter könne Ergebnisse veröffentlichen, wann er wolle. „Wir wollen eine fundierte Gesamtschau dessen, was in dieser Zeit passiert ist“, so Göring-Eckardt.
Trittin und Göring bemühten sich auf der Pressekonferenz um einen kämpferischen Eindruck. Doch während sie für die Energiewende oder andere grüne Projekte warben, trugen sie Grabesmienen zur Schau. Die Vorwürfe gegen den Spitzenkandidaten, sechs Tage vor dem Wahlsonntag, sind ein schwerer Schlag für die wahlkämpfende Partei.
In der Union wurden am Montag Rücktrittsforderungen laut. „Trittin muss seine Spitzenkandidatur ruhen lassen“, sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt Focus Online. Ähnlich äußerte sich CDU-Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder: „Die Grünen sollten darüber nachdenken, ob sie mit dieser Besetzung weiter den Wahlkampf in der letzten Woche fortsetzen.“
Intern grassiert bei den Grünen der Frust darüber, dass dieses längst abgeschlossen geglaubte Thema nun den Schlussspurt dominieren könnte. Trittin versuchte, die Bedeutung der Pädophilie-Affäre entsprechend einzuordnen. Die Grünen hätten ihre falsche Position vor einem Vierteljahrhundert korrigiert. Dies sage er auch zu denen, „die zu Recht empört sind“, betonte Trittin. ULRICH SCHULTE
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