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Archiv-Artikel

„Eigentlich gibt es Platz für alle, oder?“

Vom Guten der Naivität und dem Wunsch, etwas Kleines zu sagen: Ein Gespräch mit der israelischen Regisseurin Dedi Baron, die „Romeo und Julia“ als türkisch-deutschen Konflikt am Kieler Theater inszeniert hat

Gott sei Dank habe ich das Gefühl gehabt, dass die Deutschen schon eine Arbeit gemacht haben

taz: Hat Sie der christlich-deutsche versus muslimisch-türkische Konflikt, wie ihn Zaimoglu in die Familien Capulet und Montague verlegt hat, an die Situation in Israel erinnert?

Dedi Baron, Regisseurin: Ja, eigentlich schon. Aber für mich ist es hier ein Luxuskonflikt. Es geht um zwei verschiedene Länder, es geht um Ausländer, das kennen wir auch. Aber bei uns ist der Konflikt leider viel stärker. Er ist blutig. Deswegen habe ich auch gedacht: Es geht nicht unbedingt um Deutschland, sondern diesen Hass gibt es überall, sobald die Leute einander als Stereotyp nehmen. Aber sobald Julia mehr über Romeo weiß oder die Zofe über den Hodscha, gibt es eine Chance, dass der Konflikt gelöst wird. Es ist schwierig, das auf Deutsch zu erklären. Aber ich probiere. Haben Sie die Zeit?

Wir haben alle Zeit.

Wenn sie sich Mühe geben und richtig sprechen, nicht nur Politik und große Worte sagen, sdann gibt es eine Chance. Und das habe ich auch gefühlt in diesem Konflikt zwischen Muslimen und Christen. Es ist ein Konflikt zwischen Menschen, wo der eine glaubt, dass der andere seinen Platz nimmt. Eigentlich gibt es Platz für alle, oder? Das hat schon Lorca gesagt: Es gibt einfach in der ganzen Welt Platz für alle.

Ist die Konfliktlinie eigentlich eher eine soziale als eine religiöse? Dass es also um Familien geht, die gegeneinander um einen Platz in der Gesellschaft kämpfen?

Ich glaube, das geht zusammen. Die Leute sind religiös, sie sind auch emotional. Man kann nicht sagen: Religiöses ist separat, Familie ist separat, die Art, wie man aufwächst, ist separat. Sonst gehst du mit einem Logo herum und sagst: So, der Konflikt ist die Religion. Der Koran ist gegen den Dschihad, er ist gegen das Töten von Menschen und die Leute wissen das. Aber die Menschen machen daraus, was sie wollen.

Ist es das, was Feridun Zaimoglu meinte, als er einmal sagte, dass sich die Familien erst dann ihrer religiösen Tradition entsinnen, wenn sie im Kampf mit anderen sind?

Ja, genau. Ich fand, dass das im Text schon sehr klar war, deswegen wollte ich das erweitern.

Erweitern wohin?

Mehr zum privat-menschlichen. Das heißt, ich will nicht sagen, privat, das ist nicht privat. Die Familie sagt nicht nur wegen der Religion: Du sollst ihn nicht heiraten. Das ist wie der klassische Shakespeare: Das ist Religion und es ist auch Hass, weil sie deinen Platz wollen. Es geht um Territorien. Wie hat es Dir eigentlich gefallen? Ich habe schon Sehnsucht, ich habe das Theater so lange nicht gesehen.

Wie haben Sie denn in Kiel gearbeitet? Haben Sie sich vor Ort angesehen, wie Türken und Türkinnen hier leben?

Wir haben drei Hodschas kennengelernt und es gibt in Kiel eine ganz große türkische Gesellschaft. Wir waren viel in der Moschee und es gibt dort einen Theatergruppe, mit der wir viel Kontakt hatten. Sie haben mich auch einfach mitgenommen, um zu sehen, wie sie leben.

Und wie hat sich das in der Inszenierung niedergeschlagen?

Plötzlich habe ich gedacht: Ich nehme eine Türkin als Frau von Montagu. Dabei ist es keine Schauspielerin, sondern eine Statistin. Es ist nur eine kleine Rolle, aber sie singt und spricht Türkisch. Ich habe bei den Gesprächen von viel Hass gehört, aber viele sagten auch, dass sie kein Problem hätten und dass es eine Chance sei, in Deutschland zu leben. Aber doch fühlen sie sich fremd. Wenn ich es ganz scharf sagen darf: Es ist wie als Jude zum Beispiel. Der Holocaust war schon in meinem Bauch, als ich nach Deutschland kam. Gott sei Dank habe ich das Gefühl gehabt, dass die Deutschen schon eine Arbeit gemacht haben. Sie haben etwas aus der Geschichte gelernt. Vielleicht sollten wir in Israel jetzt etwas davon lernen.

Wie optimistisch ist für Sie da das Ende von Zaimoglus und Senkels „Romeo und Julia“-Adaptation? Am Ende wählt das Paar freiwillig den Tod.

Ich wollte über die Chance sprechen. Romeo und Julia sind am Ende nicht unbedingt tot. Ich habe gedacht: Sie können wählen, ob sie tot sind, sie können dort sitzen, bis sie tot sind, sie können wieder aufstehen und etwas verbessern. Leute können wählen, es ist nicht Schicksal. Ja, ich bin naiv, ich bin naiv. Aber nur der Glaube gibt uns die Kraft, hier in Israel zu sein. Wenn ich denke: „Mein Gott, es wird sich nie ändern. Wieder und wieder wird Krieg sein“, was dann?

Und statt dessen?

Ich bin gerade draußen in der Sonne, tolles Wetter, du musst einfach kommen. Ich möchte hier wirklich leben. Aber ich möchte hier in Frieden leben, ich möchte nicht immer Angst haben. Ich möchte, dass meine Kinder ein normales Leben haben. Also muss ich so denken.

Noch ein letztes Mal nach Kiel: Ich fand es auffällig, dass die türkische Gang in jedem zweiten Satz einen Schwulen-Witz machten. Ist das nicht ein bisschen dünn als einziges Attribut dieses Milieus?

Nein. Dann haben sie nicht so gut gespielt. Es war nicht so gemeint. Ich komme zurück. Habe sie es verändert? Es war nicht gedacht, über Schwule zu lachen. Sie sollten über sich, nicht über andere lachen. Ich rufe sie an.

Während Julias Eltern sehr präsent sind, tauchen die türkischen Eltern kaum auf. Warum bewegt sich Romeo fast ausschließlich in seiner Clique?

Romeos Eltern sind fremd. Sie stehen nur vor der Tür. Sie hatten keine Chance, sich Raum zu nehmen. Nur Romeo, also die neue Generation, hat die Kraft zu kämpfen. Er will sich gleich fühlen. Vielleicht. Ich habe von Moment zu Moment gearbeitet. Ich will nicht unbedingt neue Sachen zur Welt sagen. Ich glaube, dass überall alles gesagt ist. Ich wollte nur etwas Kleines sagen.

Man hört laute Musik mit Trommeln im Hintergrund

Hörst Du das? Da ist eine Hochzeit. Sie kommen am Theater vorbei. Wahnsinn. Sehen Sie, es ist nicht nur Krieg hier.

Interview: Friederike Gräff