: Favelas der Autostadt
WERKSCHAU Der Wolfsburger Künstler Ali Altschaffel stellt im Kunstverein einen Querschnitt seines Schaffens aus. Dieses ist ungewöhnlich vielgestaltig und erzählt viel über die Welt, in der wir leben
Das gibt es also wirklich: ein Kreativer, der in Wolfsburg geboren und geblieben ist. „Hier muss ich aber zehn Mal so viel tun, damit eine Sache klappt“, schränkt Joachim, genannt Ali Altschaffel, gleich ein. „Die Sache mit dem Propheten, das kennt man.“ Von Leidensdruck allerdings keine Spur. Dafür ist er viel zu umtriebig.
Außerhalb Wolfsburgs kennt man Altschaffel als Pressefotografen, gut zehn Jahre war er für die beiden Wolfsburger Tageszeitungen tätig. Nun arbeitet er mit am Freischwimmer, dem Magazin des Wolfsburger Kulturzentrums „Hallenbad“. Vor allem seine Cover, suchbildartige Ausschnitte aus Altschaffels Fotostrecken im Heft, genießen schon fast Kultstatus.
Die Fotografie als Broterwerb hat Ali Altschaffel irgendwann an den Nagel gehängt. „Früher rannte ich immer mit der Kamera herum“, sagt er, heute fotografiere er nur noch, wenn es ihm Spaß macht. Spaß als unverzichtbarer Produktivfaktor scheint ohnehin das Schlüsselwort zu Altschaffels Biografie zu sein: 1958 in Wolfsburg geboren, Ausbildung als Siebdrucker – nach acht Monaten abgebrochen. Ein Grafikstudium an der Kunsthochschule in Braunschweig – nach einem Jahr war Schluss. „Das war in den 1980ern ein ganz furchtbarer Frontalunterricht“, so sein Kommentar, da konnte er nichts mehr lernen.
Oder musste es vielleicht auch nicht – als konsequenter Autodidakt war er womöglich immer besser. Altschaffel beherrscht die Techniken analog und digital, gezeichnete Illustrationen, animierte Comics, Filme, alles kein Problem.
Jetzt ist Ali Altschaffel im Kunstverein Wolfsburg angekommen. Er besetzt den neu eingerichteten „Raum für Freunde“, ein kleines Kabinett, das in rascher Folge bespielt werden soll, abseits der traditionellen Sparten. Altschaffel nahm die Einladung wörtlich, er brachte einige seiner Freunde mit: flott gezeichnete „Doodles“, Vorläufer von Comicprojekten oder Figuren seiner freien Fantasie, die einfach nur festgehalten werden wollten. Ein Film als bewegtes Skizzenbuch beschäftigt sich mit Phänomenen des Verschwindens: Menschen, Wolken, Objekte. In Spanien seien ihm immer wieder Aushänge über vermisste Personen aufgefallen, so habe er das Thema eines Tages ganz einfach aufgegriffen.
Von seinen Fotos ist ein kleiner Ausschnitt aus seiner Langzeitstudie zu Wolfsburger Kleingartenkolonien zu sehen. Hier reizt ihn die Parallelwelt der peniblen Statuten der Vereine und der gelebten Anarchie der Kleingärtner. Ernsthaft wie klassische Architekturfotografie, streng frontal und ohne eine stürzende Linie, sind die Bilder aufgebaut, kein bisschen Häme also über die meist ungelenke Gestaltung der Lauben und Gärten.
Und natürlich hat Ali Altschaffel auch dazu wieder eine schöne Geschichte parat: Gäste aus Brasilien sind immer ganz begeistert, dass selbst die Favelas in Wolfsburg so aufgeräumt seien.
BETTINA MARIA BROSOWSKY
bis 2. Mai, Kunstverein Wolfsburg