Ein Transvestit in der DDR

Die RedArt-Produktion „Zu Gast bei W./W. Hiller“ läuft seit acht Jahren im Off-Theater Pumpenhaus. Ein Ende ist in Münster nicht abzusehen: Pitt Hartmann bewirtet seine Zuschauer mit einem Eintopf

AUS MÜNSTERMARCUS TERMEER

Die Atmosphäre im Theater ist privat. Pitt Hartmann spielt Walli Hiller. Die sehr alte Walli Hiller, authentisch im roten Kleid und mit Perücke. „Die Inszenierung ist hyperrealistisch“, sagt er. Weil „Die Mauer“ zwischen Publikum und Schauspieler weg und das Publikum selbst Teil der Inszenierung sei. Sein Solo ist ein theatralisches Dokument. Es beruht auf der Biographie des Berliner Transvestiten Walter (Walli) Hiller. Angeregt durch eine „Freibank“-Reportage von Gabriele Goettle in der taz besuchten er und die Regisseurin Paula Artkamp 1998 die damals fast 100-jährige Walli bei ihrer 65jährigen Tochter und deren Mann am Rande von Berlin und entwickelten aus den Gesprächen ihr Stück. Seitdem läuft es im Theater Pumpenhaus in Münster, gewann 2000 einen Preis beim Dortmunder „Theaterzwang“-Festival. Gespielt hat Pitt Hartmann in Berlin auch vor der echten Walli Hiller, die mit 102 Jahren starb. Spielen will Hartmann, der aus Hagen stammt, die Rolle so lange er Lust hat. Noch ist ein Ende nicht abzusehen. Demnächst wird es auch in Stuttgart und Basel zu sehen sein, aber immer auch in der westfälischen Fahrrad-Stadt. Woher kommt dieser andauernde Erfolg seit acht Jahren? Liegt es nur an der ungewöhnlichen Geschichte?

Walter Hiller war Soldat im ersten Weltkrieg, Koch, und schließlich Fräser, Ehemann und Familienvater. Als junger Mann trug er heimlich Frauenkleider und -wäsche. Mit 51 ließ er sich vom Magnus-Hirschfeld-Institut bescheinigen, dass er Kleider tragen müsse, um nicht verrückt zu werden. Eine Diagnose, die auch eine Zwangsuntersuchung in der Charité bestätigte. Eines Morgens erschien er als „Frau“ in der Fabrik, trotzte den Anfeindungen auf der Straße. Als Transvestit erkämpfte er sich auch die Anerkennung im Betrieb. Und erhielt den Segen des VEB-Chefs: „Genossen, sowas gibt‘s auch“, sagte der in einer Rede. Die Ehe führte Hiller trotz anfänglicher großer Irritation seiner Frau bis zu deren Tod glücklich weiter.

Sicher trägt auch die interaktive Inszenierung zum Erfolg bei. Die Zuschauer sind im Theater real „Zu Gast bei W./W. Hiller“ Gemeinsam lassen sie sich die Geschichte eines Menschen erzählen, der in mehr als einem Jahrhundert und mehr als einem Geschlecht gelebt hat. Maximal 26 Personen haben Platz an der langen Festtafel. Die wird am Anfang gedeckt, man verteilt Irish Stew und Wein, man prostet sich zu, hört den bewegenden Erinnerungen Hillers zu und bleibt meist noch nach dem Ende beim Schauspieler sitzen.

Es ist also nicht nur die Geschichte selbst, die das Stück ausmacht und die ungewöhnlich lange Laufzeit möglich. Mal humorvoll, berührend menschlich in jedem Fall. Dazu auch ungewöhnlich. Denn in der DDR des vergehenden Stalinismus war möglich, was in Adenauerdeutschland (BRD) damals wohl ausgeschlossen gewesen wäre.

So, 09. April 2006, 20:00 UhrTheater Pumpenhaus, MünsterKarten: 0251-233443