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Archiv-Artikel

Votare, oho!

Erstmals dürften Auslandsitaliener per Briefwahl wählen. In Wolfsburg klappt’s, anderswo nicht. Der Verdacht: Die Regierung Berlusconi lässt ihre Gegner auf den Untiefen der Bürokratie auflaufen

Auf ebay.it, wo resignierte Italiener ihre Stimme verscherbeln, kostet Wählen 100 Euro. Zu teuer. Ich fahre lieber nach Hannover.

von Jessica Riccò

Wo bleiben die Wahlunterlagen? Am Sonntag und Montag wird in Italien gewählt. Zum ersten Mal dürfen die im Ausland lebenden Italiener per Briefwahl dabei sein. Weltweit sind das drei Millionen, in Deutschland 550.000. Ich bin eine davon. Und außerdem eine von zahlreichen ItalienerInnen in Bremen, Hamburg und Niedersachsen, die keine Wahlunterlagen erhalten haben.

Dabei hatte die Sache so gut angefangen: Anstatt, wie bei deutschen Wahlen üblich, einen Antrag auf Briefwahl zu stellen, kriegen wir die Stimmzettel zugeschickt, ganz einfach und unbürokratisch. So wurde es über Zeitungsanzeigen des Italienischen Generalkonsulats erklärt.

Um die Wahlentscheidung zu erleichtern, kommt mit dem Stimmzettel gleich ein dicker Stapel Wahlwerbung ins Haus. Woher die Parteien die Adressen haben, ist schleierhaft. Offensichtlich ist nur, dass manche Parteien die Gunst der Wähler anhand der Vornamen einschätzen: Für Helga oder Johannes gibt es den Flyer der rechtspopulistischen Lega Nord, Maria und Luigi gehen leer aus. Die wären vermutlich sowieso dagegen, den Süden Italiens abzuschneiden, wie es die separatistische Lega vorhat.

Dort, wo die meisten Italiener leben, gab es keine Probleme. Rocco Artale, Kommunalpolitiker der SPD und ehemals selbst „Gastarbeiter“, berichtet, in Wolfsburg sei für die immerhin 6.000 potenziellen Wähler alles mit rechten Dingen zugegangen. Wegen der vielen Italiener hat die Autostadt eine eigene konsularische Agentur, so dass die hier lebenden Italiener nicht von den Konsulaten in Hamburg und Hannover abhängig sind. Man kennt sich: Wären in Wolfsburg im großen Stil Wähler vergessen worden, hätte es sicher Beschwerden gegeben.

Was aber ist mit den Wahlunterlagen für das übrige Norddeutschland passiert? Ein erster Anruf beim italienischen Konsulat führt in eine Warteschleife. Die nette Dame vom Tonband erklärt, dass die Wahlunterlagen „entro le ore 16 del sei aprile 2006“ beim Konsulat eingehen müssen. Für Fragen zum Standesamt sei die Nummer drei zu drücken. Nach zehn Minuten kapituliere ich und schicke eine E-Mail. Drei Tage ohne Antwort.

Noch ein Anruf. Dieses Mal klappt’s: Der Konsulatsmitarbeiter teilt höflich mit, dass meine Unterlagen schon längst abgeschickt seien. In die Waterloostraße 38 in Hannover. Da habe ich nie gewohnt. Durch die Umstellung auf Briefwahl sei das Wählerverzeichnis des Konsulats mit den Adressen der jeweiligen Gemeinden abgeglichen worden. „Wer sich nach einem Umzug nicht rechtzeitig umgemeldet hat, ist wohl unter den Tisch gefallen.“ Ich habe meine Adresse seit 1990 nicht geändert. „Wenn Sie doch wählen möchten, kommen Sie doch einfach persönlich vorbei.“ Ich verkneife mir, ihn darauf hinzuweisen, dass meine Wahlunterlagen dann ja doppelt ausgefüllt werden könnten – einmal von einem ominösen Empfänger in der Waterloostraße, einmal von mir. „Sie sind ein Einzelfall, Fräulein, dumm gelaufen.“

Bin ich überhaupt ein Einzelfall? Nein, bestätigt Anna Maria Perrone vom Italienischen Kulturverein A.S.C.I.T. aus Bremen meinen Verdacht. Viele wahlberechtigte Italiener haben keine Wahlunterlagen erhalten. In Bremen ebenso wie in Hamburg und Niedersachsen. Jedoch seien viele der in den Sechzigerjahren nach Deutschland migrierten Italiener ohnehin nicht an den Wahlen eines Landes interessiert, dessen Parteien sie vor drei Generationen „verraten“ hätten. Es sei eben, so Perrone, kein schönes Gefühl, einst Objekt im Tausch gegen Braunkohle gewesen zu sein.

Außerdem umfasst der Wahlkreis die gesamte EU, Russland und die Türkei. Es will sich keine Verbundenheit einstellen mit den Kandidaten, die in Moskau oder Madrid wohnen. Darum fragen die meisten vergessenen Wähler auch nicht nach, wo ihre Unterlagen geblieben sind. Und überhaupt: „Chi non fà, non falla“ – wer gar nichts macht, der sündigt nicht.

Bei den Wahlen geht es nicht nur um acht Abgeordnete aus unserem weit gefassten Wahlkreis sondern auch um einen eventuellen Regierungswechsel. Und eben dieser Noch-Regierung kommt der dumme Zufall der verlorenen Stimmzettel gepaart mit der Bequemlichkeit ihrer Wähler entgegen. Da im Ausland seit Jahren ein ganz anderes Bild von Silvio Berlusconi und der dazugehörigen Partei „Forza Italia“ vermittelt wird, als in der Mehrheit der italienischen Medien – die ihm ja größtenteils gehören –, geht jetzt vermutlich eine große Anzahl Stimmen gegen die Forza-Italia flöten. Ein bisschen erinnert es an die Wiederwahl von Berlusconis bestem politischen Freund George W. Bush, bei der Auslandsamerikaner an ihren Konsulaten verzweifelten, in den traditionell konservativen US-Kasernen aber eigens Wahllokale eingerichtet wurden.

Ich will wählen. Auf ebay.it, wo resignierte Italiener ihre Stimme verscherbeln, kostet einmal Wählen mittlerweile 100 Euro. Zu teuer. Darum fahre ich nach Hannover und stehe zehn Minuten vor dem Torschluss pünktlich am Tresen des Italienischen Generalkonsulats in Hannover. Es scheint, als hätte man hier nicht mehr mit Wählern gerechnet. Wahlkabinen zumindest gibt es keine. Ungewöhnlich. Ich soll mein Kreuzchen im Treppenhaus machen, wegen des Wahlgeheimnisses. Eine ältere Dame bittet, ihren Wahlbogen am Fenster ausfüllen zu dürfen. Weil das Licht auf dem Flur spärlich ist, wird es ihr gestattet. Sie hält ihren Wahlbogen gegen das Licht und setzt ihr Kreuz gut sichtbar. Das unbürokratische Vorgehen der Konsularbeamten hat sein Gutes: Meinen italienischen Pass habe ich vergessen und mein deutscher Personalausweis ist seit vier Monaten abgelaufen. Bei einer deutschen Wahl hätte ich damit keine Chance gehabt. So aber mache ich mein Kreuz im Fahrstuhl, den Wahlbogen auf dem Schoß. Hoffentlich führen auch für die anderen Stimmzettel aus Norddeutschland alle Wege nach Rom.

Auf dem Rückweg vom Konsulat mache ich einen Schlenker in die Waterloostraße. Eine Hausnummer 38 gibt es hier nicht und auch sonst keine Wohnhäuser. Dafür haben hier die Landesbibliothek Niedersachsen und eine Polizeidirektion ihren Sitz.