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Archiv-Artikel

Mit deutscher Hilfe?

SYRIEN Deutsche Bundesregierung räumt ein, dass Chemikalien an Syrien geliefert wurden, die auch zur Herstellung von Sarin taugen

„Die geplante zivile Nutzung der Güter wurde plausibel dargestellt“

ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG AUF EINE ANFRAGE VON VAN AKEN

VON BERND PICKERT

BERLIN taz | Zur Produktion von Sarin, dem Nervengift, das nach Angaben der UN-Inspekteure am 21. August in den Vororten von Damaskus zum Einsatz kam, könnte auch Deutschland beigetragen haben. Das geht aus den Antworten der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Jan van Aken hervor. Demnach hat Deutschland in den Jahren 2002 bis 2006 insgesamt etwa 111 Tonnen verschiedener Chemikalien an Syrien geliefert, die zur Sarinherstellung notwendig sind, darunter 93 Tonnen Fluorwasserstoff und gut 12 Tonnen Ammoniumhydrogendifluorid. Beide Substanzen werden für Sarin benötigt, haben allerdings auch einen zivilen Nutzen – etwa zur Herstellung von Zahnpasta – und sind daher auf dem Markt frei erhältlich. Allerdings: Laut einer EU-Richtlinie unterliegt der Export solcher „Dual use“-Güter strengen Regeln. Die Bundesregierung erklärte dazu: „In allen diesen Fällen wurde die geplante zivile Verwendung der Güter plausibel dargestellt“, und es hätten sich „keine Hinweise auf eine militärische Nutzung“ ergeben.

Jan van Aken reicht diese Auskunft nicht: Auch damals sei bereits bekannt gewesen, dass Syrien ein Chemiewaffenprogramm unterhielt. Insofern hätten diese Chemikalien nicht an Syrien geliefert werden dürfen. „Allen Beteiligten muss klar gewesen sein, dass die deutschen Chemikalien in Syrien für die Produktion von Sarin eingesetzt werden konnten.“ Die Exportgenehmigungen fallen sowohl in die Zeit rot-grüner Regierung als auch die Anfangszeit der Großen Koalition.

Der Vorwurf, dass Deutschland das syrische Chemiewaffenprogramm unterstützt hat, ist nicht neu. Schon 2008 wurde in einer Studie des US-amerikanischen Center for Strategic and International Studies (CSIS) darauf hingewiesen, dass 1983 für die damals gerade im Aufbau befindliche syrische Chemiewaffenproduktion Spezialanfertigungen aus Deutschland geliefert worden waren. Im Mai 1992, heißt es in der gleichen Studie, habe Deutschland mehrere Schiffsladungen Trimethylphosphit geliefert – ebenfalls ein Dual-use-Gut, das sowohl in der Herbizid- und Pestizid- als auch in der Giftgasproduktion zum Einsatz kommen kann.

Was aus den Lieferungen geworden ist, soll die Bundesregierung nunmehr genau prüfen, fordern Politiker aus Regierung und Opposition. Ruprecht Polenz (CDU) sagte im rbb-Inforadio, man solle „schauen, was man über den Verbleib und die damalige Verwendung noch herausfinden kann“ und dazu auch die syrische Regierung um Auskunft bitten. Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte, der Auswärtige Ausschuss und der Wirtschaftsausschuss sollten sich so schnell wie möglich mit dem Thema befassen.

Bis diesen Samstag muss Syrien, so der gemeinsam gefällte Beschluss der US-amerikanischen und der russischen Regierung, der UNO eine vollständige Dokumentation seiner vorhandenen Chemiewaffenbestände übergeben haben. Syriens Präsident Assad meldete sich am Mittwoch in einem Interview mit dem US-Fernsehsender Fox News zu Wort und erklärte, die Zerstörung der Bestände sei aufwändig und könne rund ein Jahr dauern. Seine Regierung sei bereit, die Waffen zur dortigen Zerstörung in die USA transportieren zu lassen, wenn die US-Regierung für die Kosten des Transports aufkäme. Deutschland hat angekündigt, sich mit einem Betrag von 2 Millionen Euro an den Kosten für die Vernichtung der Chemiewaffen zu beteiligen Das Geld stehe der zuständigen Organisation für das Verbot chemischer Waffen zur Verfügung. Schon vor Veröffentlichung des exakten Umfangs der syrischen Bestände rechnen manche Experten allerdings mit Kosten von mehr als 1 Milliarde US-Dollar.

Russland hat unterdessen seine Kritik am Bericht der UN-Inspekteure erneuert. Der Bericht sei einseitig und klammere aus, dass auch syrische Rebellen über Chemiewaffen verfügten, hieß es in Moskau. Westliche Regierung und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind allerdings davon überzeugt, dass die Berichte, insbesondere über die benutzten Trägersysteme, eindeutig für Regierungstruppen als Täter sprechen.

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